Der Vierte Tag
weiterhin begrenzt. Er lässt sich eine neue Flasche destilliertes Wasser geben und folgt Käthe in die Küche.
Ansonsten sind die Vorräte der kleinen Stationsküche endgültig erschöpft, und auch Fröhlichs Rucksack hat an Nahrungsmitteln wohl nur noch Hundefutter zu bieten. Wir Geiseln bestehen aber solidarisch auf einem ordentlichen Frühstück.
"Machen Sie es doch so wie gestern. Da freuen sich die Leute vom Frühstücksfernsehen, wieder mal was Aktuelles in deren Morgengeplauder", schlägt Schwester Käthe vor.
Aber Herr Fröhlich schüttelt den Kopf, scheint das Fernsehpublikum nicht mit Wiederholungen langweilen zu wollen. Fürchtet er um die Quote? Nach der bisherigen Berichterstattung kann ich mir gut vorstellen, dass viele Zuschauer die Reportagen über uns für eine neue Version von "Big Brother" halten und erzürnte Anrufer sich beim Sender beschweren, weil die Telefonnummer nicht eingeblendet ist, unter der man abstimmen kann, welche Geisel als nächste entlassen wird.
Ich überlege, ob ich Celine als Überbringerin unseres Frühstücks vorschlagen soll. Schlechte Idee. Warum soll Herr Fröhlich ihr vertrauen? Und auch ich bin nicht sicher, ob sich Celine nicht irgendeine gutgemeinte List würde einfallen lassen. Außerdem brauche ich sie an der Hakerfront.
Die beste Idee hat Renate. "Hinter dem U-Bahnhof gibt es einen Survival-Shop. Ihr wisst schon, alles für den Kurztrip an den Südpol oder den Äquator. Die haben das ganze Zeug in Dosen, nicht manipulierbar: Brot, Butter, Wurst, was man will."
Ein guter Vorschlag, dem muss auch Fröhlich zustimmen. Wir schreiben eine lange Wunschliste mit einigen Alternativen, denn vielleicht gibt es doch kein Südpol-taugliches Pflaumenmus. Schließlich telefoniert Käthe unsere Frühstückswünsche an die Polizei durch. Dort ist man enttäuscht, stehe doch bereits ein schönes Frühstück zur Lieferung an uns bereit. Klar, darauf lässt sich Herr Fröhlich nicht ein.
Es dauert dann fast eine Stunde, bis unsere Expeditionsnahrung geliefert wird. Akribisch inspiziert Herr Fröhlich jede Dose auf eventuelle Manipulationen, kann aber keine ausmachen. Die Haltbarkeit des Inhalts wird für über zehn Jahren garantiert, bei ausreichender Bevorratung könnten wir noch lange in unserer Situation ausharren. Aber interessant: Herr Fröhlich hat die Lieferung auf das Frühstück beschränkt. Auch er rechnet wohl damit, hoffe ich, dass die Sache, so oder so, heute zu einem Ende kommt. Hoffe ich das wirklich? Bringt nicht jede Änderung unserer Situation neue Gefahren? Ich kann mich nicht entscheiden zu meiner Hoffnung, sage ich mir. Denn die Wirklichkeit will ich mir nicht eingestehen - ich ziehe die relative Sicherheit und Stabilität unserer gegenwärtigen Lage allen Versuchen, sie zu beenden, vor. Ich bin endgültig in Stockholm angekommen!
Beim Frühstück endlich langen wir beherzt zu in dem Gefühl, gestärkt in den wahrscheinlich entscheidenden Tag unserer Geiselnahme zu gehen. Allerdings erst, nachdem wir doch noch einen Dosenöffner gefunden haben.
Das Fernsehen hat bisher nicht ganz das Interesse an uns verloren, wir sind auf Platz vier der Morgennachrichten gelandet. Heute kommt der Polizeipsychologe Azul zu Wort. Er dementiert das Gerücht, dass einer Geisel in der vergangenen Nacht die Flucht gelungen sei. Aber zu unserer Beruhigung kann er berichten, dass in Berlin in den letzten Jahren nie eine Geisel zu Schaden gekommen sei, behauptet allerdings, dass ein guter Kontakt zum Geiselnehmer bestehe. Hinsichtlich unserer beengten Situation auf der Intensivstation verweist er auf viel längere Experimente für die bemannte Raumfahrt, verschweigt dabei höflich die kürzlich berichtete Fast-Vergewaltigung der kanadischen Probandin bei einem solchen Experiment.
Sogar der Inhaber des Ladens "Fernweh" bekommt als unser Hoflieferant ein wenig kostenlose TV-Werbung. Normalerweise hätte er so früh ja noch nicht geöffnet, aber in dieser Situation, selbstverständlich.
Auch er weist auf die lange Haltbarkeit seiner Produkte hin: "Und das alles ohne chemische Konservierungsstoffe!"
Da wird selbst Celine einverstanden sein. Sie kann ja nicht wissen, dass ich mich gerade über eine Dose Cornedbeef hermache, gefüllt mit den Überresten von mit genmanipuliertem Mais gemästeten US-Rindern.
Celine ist auch unsere erste Anruferin diesen Morgen, wie üblich auf Renates Handy.
"Wie war euer Frühstück?"
Offensichtlich läuft auch bei ihr der
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