Der Vierte Tag
Frauen und zwei Männer sind wir, durch die Umstände isoliert, außerhalb der Gesellschaft. Könnten wir die Keimzelle für eine bessere Gesellschaft werden? Ich glaube, die Welt da draußen würde es kaum zulassen. Und außerdem haben wir auch Verpflichtungen in jener Welt.
"Was ist mit der Pflege Ihrer Großtante? Ist diese Nachbarin zuverlässig?"
"Absolut. Aber sie hat weder die Ausbildung noch die Zeit. Das macht mir fast mehr Sorgen als unsere Situation."
Bei Schwester Käthe ist so ein Satz nicht nur dahergesagt. Trotzdem ist er auch ein schönes Beispiel für unser persönliches Stockholm-Syndrom.
Im Osten schiebt sich langsam die Sonne über den Horizont, der nun von Blassrot in ein aufgeregtes Feuerrot wechselt. Wenn ich das richtig verstanden habe, so ist dies ein Indikator für den Grad unserer Luftverschmutzung. Je mehr Staubpartikel, desto intensiver das Rot.
"Und Ihre Philharmonie-Begleitung von vorgestern? Wird die sich wieder melden?"
Wie vorgestern kommt sofort wieder ein wenig Farbe in Käthes Gesicht.
Aber sie hebt nur die Schultern und bemerkt: "Ist es nicht merkwürdig, wie weit weg das alles ist?"
Mir geht etwas anderes durch den Kopf.
"Käthe, wissen Sie, warum uns Renate bezüglich ihrer Pläne für vorgestern Abend belogen hat?"
"Wie kommen Sie darauf?"
Ein flüchtiges Stirnrunzeln hat Käthe verraten. Sollten beide Schwestern mit unserem Geiselnehmer unter der Decke stecken? Das wäre dann doch ein wenig zu irre.
"Renate hat uns erzählt, sie wollte mit ihrer Freundin Patricia um die Häuser ziehen, richtig?"
"Ja. Das machen die beiden häufiger. Das sind ja noch junge Leute."
"Beides unbestritten, Käthe. Aber ich weiß, dass Schwester Patricia etwas anderes vorhatte. Sie hat in dieser Nacht gemeinsam mit Celine und den anderen Tierschutzleuten eine Versuchstieranstalt besucht. Und solche Dinge werden nicht erst am Tag vorher beschlossen."
"Besucht?"
"Sie wissen, was die machen. Aber wissen Sie auch, was Renate wirklich vorhatte?"
Käthe weiß es, das ist inzwischen klar. Aber bei ihrer Diskretion würde sie es mir nicht sagen, hätte sie nicht inzwischen verstanden, worauf ich hinauswill.
Käthe schmunzelt.
"Was meinen Sie, was Renate vorhatte, wenn sie es uns nicht verraten wollte, Dr. Hoffmann?"
Woher soll ich das wissen? Und meinen Verdacht möchte ich nicht konkret äußern.
Schließlich hat Käthe ein Einsehen: "Natürlich ging es um Dr. Valenta. Die beiden wollten sich treffen."
Großer Gott! Das ewige Verhältnis von Renate und Valenta! So geheim, dass jeder davon weiß, außer Valentas Frau. Und schon früher Anlass zu einer Menge Missverständnissen.
"Wie kann das sein? Valenta ist mit Frau und Kindern an der Ostsee."
"Das sind nicht einmal zwei Stunden mit Valentas Sportwagen. Ist Ihnen Renates gute Laune nicht aufgefallen? Ich meine, bevor Herr Fröhlich kam?"
Die Sache sei doch allgemein bekannt, erzählt Käthe. Jeder fürchte die zunehmend missmutige Renate, wenn Valenta Familienurlaub mache. Nach spätestens zehn Tagen setze sie den Guten dann regelmäßig unter Druck, und Valenta würde wegen eines komplizierten Falles für einen Tag dringend auf die Intensivstation gerufen.
"Seine Frau tobt dann natürlich. Aber irgendwie ist sie auch ganz stolz, wie unverzichtbar ihr Mann für die Klinik ist."
Langsam gehen mir die Kandidaten für eine Komplizenschaft mit Herrn Fröhlich aus.
"Sprecht ihr über mich? Ich gebe alles zu!"
Der wunderbare Sonnenaufgang ist vorbei, die Intensivstation zu dieser frühen Sommerstunde bereits in volles Sonnenlicht getaucht. Renate hat die Nachtruhe sichtlich gut getan. Wie sie da noch ein wenig verschlafen auf der Bettkante sitzt, ist es absolut unzweifelhaft, dass für diese Frau ein Mann jederzeit auch mehr als zwei Stunden Fahrt auf sich nehmen würde.
Ich kann Käthes Erzählung nicht mehr vertiefen, denn jetzt ist auch Herr Fröhlich aufgewacht und schaut sich schlaftrunken um.
Dafür, dass wir nicht versucht haben, ihn zu fesseln, oder längst über alle Berge sind, hat er eine naheliegende Erklärung: "Na, Stinki, hast du gut aufgepasst? Brav!"
Ich verrate lieber nicht, dass Stinki es versäumt hat, meinen Spaziergang auf den Flur zu unterbinden.
"Dann werde ich mal frischen Kaffee machen", verkündet Käthe. "Für Sie auch, Herr Fröhlich? Ich tu auch bestimmt nichts extra für Sie rein."
Herr Fröhlich findet Kaffee eine gute Idee.
"Schön stark", betont er, aber sein Vertrauen in seine Geiseln ist
Weitere Kostenlose Bücher