Der Vierte Tag
hinzu, um einen entsprechenden Vortrag zu vermeiden, "oder es sind Prüfungen an Zellkulturen. Erst danach kommt Phase zwei, die Untersuchung an freiwilligen Gesunden. Zum Schluss, in der Phase drei, geht es um die Wirksamkeit an betroffenen Patienten. Das ist der klassische Weg. Bei diesen Lifestyl-Drogen, bei denen es ja nicht wirklich um Krankheiten geht, fallen Phase zwei und Phase drei allerdings weitgehend zusammen. Warum fragst du?"
"Schau in zehn Minuten in deine E-Mail. Dann hast du alle diese Phase-eins-Daten zu deiner Wunderdroge."
Eigentlich ist es egal, trotzdem bin ich neugierig, wie Celine und ihr Freund an die Daten gekommen sind.
"In Frankreich war alles dicht, kein Rankommen, weder in der Firma noch bei der Zulassungsbehörde. Aber in Italien hatten wir Glück. Und die Tabellen sind in Englisch, was sicher hilft. Also viel Spaß mit den Unterlagen. Schau sie dir an, davon verstehst du mehr als ich."
Eher selten, dass es eine Sache gibt, für die Celine mir mehr Kompetenz als sich selber zubilligt. Wäre sie nicht ausreichend damit beschäftigt, weiter die E-Mails von Alpha Pharmaceutics zu knacken und die Daten zu Phase zwei und drei zu finden, hätte sie sich bestimmt selbst an die Überprüfung von Phase eins gesetzt.
Ich warne Celine noch einmal, bei den Recherchen wenigstens extrem vorsichtig zu sein, vom Abbrechen kann ich sie sowieso nicht mehr überzeugen.
"Mach dir keine Sorgen deshalb, Felix."
Sie wird auf jeden Fall weitermachen, ein Gedanke, bei dem mir äußerst unwohl ist.
"Wie geht es bei euch weiter?" fragt sie zum Schluss.
"Gute Frage. Vielleicht mache ich mit meinem Kumpel hier eine Strandbude in der Karibik auf."
Fröhlich schaut mich überrascht an. Das Gespräch mit Celine ist beendet.
Wie versprochen, meldet der Computer wenig später eine neue E-Mail mit umfangreichem Anhang, dessen Herunterladen fast zehn Minuten in Anspruch nimmt.
"Wie wollen Sie das alles durcharbeiten?" fragt Fröhlich angesichts der Zahlenkolonnen aus Italien.
Damit, versichere ich ihm, habe ich keine Schwierigkeiten. Zwar arbeite ich an der Humana-Klinik kaum noch wissenschaftlich, habe das aber früher recht intensiv betrieben, und in den Naturwissenschaften besteht wissenschaftliches Arbeiten zu einem nicht geringen Teil aus dem Sortieren von Zahlen. Außerdem bin ich in Übung geblieben, denn die Humana-Klinik betreibt wie jedes moderne Unternehmen ein akribisches Kostenmanagement, und Gnade Gott, wenn man nicht ständig die eigenen Zahlen zu Bettenauslastung, Arzneimittelkosten pro Patient und so weiter im Vergleich sowohl zu den anderen Abteilungen als auch zu den anderen Kliniken innerhalb der Vitalkliniken GmbH im Auge behält.
"Gut, Sie können etwas mit diesen Zahlen anfangen, Dr. Hoffmann, ich glaube Ihnen. Aber Sie werden mindestens bis morgen beschäftigt sein. Ausgedruckt wären das Hunderte von Bögen."
"Machen Sie sich keine Sorgen, Herr Fröhlich. Es wird etwas dauern, mich einzuarbeiten, und ich muss ein Gefühl für die Materie bekommen. Dann werde ich nach Sachen wie fehlerhaften Untersuchungsbedingungen oder falsch angewandter Statistik suchen. Die Hauptarbeit, das Aufspüren auffälliger Abweichungen in den Werten, schafft heutzutage auch dieser Bürocomputer in Sekunden."
Natürlich gibt es auch einen Textteil. Den lese ich nicht. Wenn es Probleme mit MS 234 gibt, sind sie in den Daten versteckt.
Zum Glück macht Fröhlich mich nicht nervös, indem er mir dauernd über die Schulter guckt, er verschwindet mit Stinki im Intermediate-Zimmer zu einer neuen Runde Entschlackung.
Nach einer Stunde bin ich weitgehend durch und habe keine in dem Zahlenwust vergrabene Leiche gefunden. Im Gegenteil scheinen die Untersuchungen in Phase eins, die hauptsächlich an Ratten vorgenommen wurden, mit großer Sorgfalt durchgeführt. Man hat MS 234 nicht nur an normalen Ratten getestet, sondern auch an SHT-Ratten, das sind Ratten mit Bluthochdruck, an Ratten mit Zuckerkrankheit oder angezüchteter Alkoholabhängigkeit, an drogenabhängigen Ratten und an Ratten mit Schlafdefizit. Schließlich soll mindestens die Hälfte der Bevölkerung in den Industrieländern MS 234 schlucken, also möchte man den Anteil an Leuten, die das Zeug wegen einer chronischen Krankheit nicht nehmen können, möglichst klein halten.
Aber ob die Ratten gesund oder nicht ganz so gesund waren, es wurden keine Probleme mit MS 234 gefunden. Selbst bei zehnfacher Überdosierung kamen keine Ratten mit zwei Köpfen
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