Der Vierte Tag
über mich selbst in andere Bahnen zu lenken.
"Hören Sie, Fröhlich. Ich bin Ihre Geisel. Sie können mich zwingen, hier Ballett zu tanzen oder mit den Händen über dem Kopf auf dem Boden zu liegen, was immer Sie wollen. Sie haben die Knarre. Aber sagen Sie mir nicht, was ich denken soll oder wie ich meine Freunde zu behandeln habe. Sie sind nicht mein Vater!"
Da ist es raus, eine erstaunliche Erkenntnis auch für mich. Und keine erfreuliche. Allein durch seine äußerliche Macht über mich hat Fröhlich die Neurone "Vater, allmächtig" bei mir besetzt. Kein Wunder, dass er in unserer Strandbude auf den Bermudas der Boss wäre! Und vielleicht war es auch nicht nur die Angst vor "draußen", dass ich vergangene Nacht wieder zurückgekommen bin. Vielleicht war es so wie in den letzten Jahren mit meinem Vater, als es zu spät geworden war, ihn zu verlassen, weil aus dem allmächtigen Vater ein Pflegefall geworden war.
Auf n-tv werden die aktuellen Börsenkurse von Kurznachrichten unterbrochen. Die Palästinenser geben an, acht Israelis umgebracht zu haben, laut Israelis waren es nur fünf. Dafür aber sechs tote Palästinenser. Kaum jemand, der diese Art von Nachrichten noch wirklich wahrnimmt. Ich auch nicht.
Aber dann: "Sebastian Müller-Wohlgemuth, Leiter der Abteilung Forschung und Entwicklung bei dem Pharmaziehersteller Alpha Pharmaceutics, ist tot. Die Umstände seines Todes sind noch ungeklärt. Ein Sprecher der Firma Alpha Pharmaceutics zeigte sich 'tief bestürzt', lehnt aber zur Zeit jede weitere Stellungnahme ab."
Ich bin auch bestürzt. Ohne Fröhlich um Erlaubnis zu fragen, drücke ich Celines inzwischen von mir eingespeicherte Nummer und lasse sie gar nicht erst zu Wort kommen.
"Hört sofort auf mit den Nachforschungen. Schaltet die Computer ab, raus aus dem Netz, zieht alle Stecker!"
"Was ist denn los, Felix?"
Ich berichte ihr von Müller-Wohlgemuth und den "ungeklärten Umständen".
"Der entlassene Typ von Alpha Pharmaceutics ist tot? Hör mal, vielleicht hat er sich aus dem Fenster gestürzt!"
Schwere akute Depression wegen seiner Entlassung, denkbar. Oder weil er für die Panne bei MS 234 verantwortlich ist? Oder aber, jemand hat nachgeholfen, weil Müller-Wohlgemuth nicht über die Probleme mit dem Weltmarktrenner MS 234 schweigen wollte!
"Celine, wenn es ein Fenstersturz war, dann vielleicht kein freiwilliger! Schaltet sofort die Computer ab."
"Felix, nun mal ganz langsam. Du weißt doch nichts, außer, dass der Mann tot ist, oder?"
Celine klingt besorgt. Aber mehr über mich als über den Tod von Müller-Wohlgemuth. Und ich muss ihr recht geben, was meinen Informationsstand betrifft.
"Siehst du, alles andere ist Spekulation. Dieser Müller-Wohlgemuth kann auch einfach von einem Auto überfahren worden sein, oder es ist ihm ein Dachziegel auf den Kopf gefallen. Ich glaube, deine Paranoia geht wieder mit dir durch."
Paranoia! Schon wieder! Celine hat sich mit Michael gegen mich verschworen! Gut, selbst ich muss zugeben, dass diese Vorstellung nun wirklich ein wenig paranoid ist. Aber trotzdem, es muss nicht unbedingt ein Unfall sein, wenn jemand von einem Auto überfahren oder von einem Dachziegel erschlagen wird.
Celine versucht weiter, mich zu beruhigen.
"Außerdem, selbst wenn da draußen ein Killerkommando unterwegs ist, um jeden abzumurksen, der sich um die Daten zu diesem Wirkstoff kümmert, werden die uns nicht finden, Felix. Wir benutzen wechselnde Call by Call Dial Ins und einen Anon-Proxy, man kann die Datensuche nicht zu uns zurückverfolgen."
Klar, ich bin beruhigt. Was soll schon passieren, wenn man mit wechselnden Call by Call Dial Ins über einen Anon-Proxy arbeitet? Schade nur, dass ich absolut keine Vorstellung habe, was ein Anon-Proxy sein könnte. Aber Celine ist EDV-Profi, ihr Hamburger Freund wahrscheinlich noch mehr so, und keine Macht der Welt kann Celine jetzt noch stoppen, wo es mit überlegenem Computerwissen gegen böse Großkonzerne geht.
"Also mal zu den Fakten, Felix. Was versteht man bei diesen Medikamentenuntersuchungen unter 'Phase eins'?"
Endlich eine Frage, bei der ich nicht zu spekulieren brauche.
"Phase eins beginnt, wenn man unter vielleicht über tausend untersuchten Substanzen endlich eine gefunden hat, die im Reagenzglas die gewünschte Wirkung zeigt. Dann wird erforscht, ob die Substanz auch im Körper wirkt, aber leider giftig ist, zum Beispiel Schäden am Erbgut hervorruft. Das sind Tierversuche, oder", füge ich schnell für Celine
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