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Der Vierte Tag

Der Vierte Tag

Titel: Der Vierte Tag Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Christoph Spielberg
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Geschichte über Dauerorgien und Gruppensex die Peinlichkeit der gebrüllten Fragen kontern. Aber bevor sie dazu kommt, schiebt sich jemand von hinten in die Bildmitte: unser Chefarzt Manfred Zentis. Mit Beschützermiene nimmt er Renate und Käthe in die Arme, platziert sich geschickt in ihre Mitte.
    "Ich bin Dr. Zentis, Chefarzt der Klinik, und ich möchte Sie herzlich bitten, etwas mehr Rücksicht auf unsere beiden Schwestern zu nehmen. Wie Ihnen bekannt ist, war ich selbst bis gestern eine der Geiseln, ich kann also Ihre Fragen beantworten."
    Eines muss ich Zentis lassen: Er sieht immer noch gut aus. Früher war er Zehnkämpfer, Kreisklasse, aber immerhin. Im Gegensatz zu mir betreibt er weiterhin Sport und ein ziemlich aktives Fitnessprogramm. Böse Zungen in der Klinik haben stets behauptet, er täte das genau für diesen Moment, wo endlich die Kameras auf ihn gerichtet sind.
    Die Fragen werden etwas weniger heftig, und Zentis gibt bereitwillig Auskunft.
    "Dieser Mann ist gefährlich und unberechenbar. Aber nicht irrational. So hat er zum Beispiel sehr schnell erkannt, dass es mit mir als Geisel ganz direkt alle Patienten der Humana-Klinik gefährdet, deshalb kam es zu meiner Freilassung. Und natürlich bin ich ausgesprochen froh, dass unsere intensiven Bemühungen jetzt auch zur Freilassung unser Kolleginnen geführt haben!"
    Renate versucht sich halbwegs diskret aus seiner Umarmung zu befreien, aber keine Chance. Zentis hält beide Schwestern weiter fest umklammert, und ich hoffe, Renate beißt ihm nicht vor laufender Kamera in die Hand.
    "Sie haben uns berichtet, dass da drinnen die Berichterstattung sehr genau verfolgt wird. Haben Sie noch eine Nachricht für Ihren Kollegen, die letzte Geisel?"
    "Ich möchte, dass Dr. Hoffmann, übrigens ein persönlicher Freund und ein Kollege mit einer blendenden Zukunft in unserem Klinikverbund, weiß, dass wir alles in unserer Macht Stehende tun, auch seine Freilassung zu erreichen. Deshalb rate ich meinem guten Freund zu Geduld. Ich möchte Dr. Hoffmann in dieser Situation vor jeder Art unüberlegter Handlungen warnen."
    So komme ich ausgerechnet als Geisel zu einem neuen Freund und bin gerührt. Über die Freundschaft und über Zentis Fürsorglichkeit. Er warnt mich vor unüberlegten Handlungen - wahrscheinlich weil er sich sonst Sorgen um meine blendende Zukunft im Klinikverbund machen müsste, die mir genau so neu wie unsere Freundschaft ist.
    Im unteren Bildrand laufen unverändert die aktuellen Börsenkurse, Alpha Pharmaceutics ist inzwischen nur noch ein Aktienwert unter vielen, stabil bei 37,40 Euro. Da fällt mir etwas ein, was ich Michael zu fragen vergessen habe, und ich rufe ihn mit Fröhlichs Zustimmung an. Obgleich ich fürchte, dass meine Anrufe bei Michael zu den "unüberlegten Handlungen" gehören, vor denen Zentis mich gerade gewarnt hat.
    Michael klingt genervt. "Ich tue, was ich kann, aber die Leberwerte habe ich erst in einer halben Stunde, ich melde mich dann."
    "Das ist schön, Michael, aber ich habe eine andere Frage: Die Werte von diesen dreizehn Patienten aus dem Test, das ist ja nicht so lange her. Könnte es sein, dass Zentis die noch gar nicht an Alpha Pharmaceutics weitergegeben hat?"
    Sind die Leute da vielleicht doch nicht so gewissenlos, wissen einfach nichts über die schlimmen Nebenwirkungen von MS 234?
    "Ausgeschlossen. Zentis hat unheimlich gedrängelt, die Firma würde Druck machen, ihn täglich anrufen. Bestimmt hat er die Werte weitergegeben. Es hat sich nur noch um Nachforderungen von der Zulassungsbehörde in Frankreich gehandelt, und Alpha Pharmaceutics wollte verhindern, dass die Zulassung zurückgestellt wird."
    Ich denke an das Interview von Chefarzt Zentis.
    "Noch eine Frage, Michael. Hast du mit Zentis über meine Nachfragen bei dir gesprochen?"
    "Nein."
    "Bist du sicher?"
    Nun ist Michael endgültig sauer. "Felix, wir alle kennen deine Anfälle von Paranoia. Aber irgendwann wirst du damit auch deine letzten Freunde verlieren."
    Das will ich nicht. Selbst, wenn ich in Zentis gerade einen neuen Freund gewonnen habe.
    Lustlos zappe ich durch die anderen Sender, habe so Gelegenheit, mir das Interview mit Zentis noch ein paar Mal anzuhören, bis es mich langweilt und ich zu n-tv zurückklicke. Dort geht es inzwischen um Palästinenser, die Israelis umbringen, und Israelis, die Palästinenser umbringen.
    "Ich meine, Ihr Freund hat recht. Sie können nicht allen misstrauen."
    Das gibt mir eine gute Gelegenheit, meinen Ärger

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