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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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zerschnitt dabei, so schien es, ein Leichentuch und richtete sich wieder auf, wobei er aus seinem Handschuh eine kleine Menge leuchtend weißen Sandes rieseln ließ. Härter als Zement, scharf wie Glas, fließend und unbeständig, ganz nach Fulgences Bilde. Lautlos entfernte sich Adamsberg.
     
    Eine Stunde später klopfte Retancourt an die Tür seines Hotelzimmers. Adamsberg öffnete ihr glücklich und legte zur Begrüßung gleich die Hand auf ihre Schulter. Der Lieutenant setzte sich aufs Bett und drückte es, wie im Hotel Brébeuf in Gatineau, in seiner Mitte tief ein. Und wie im Brébeuf öffnete sie eine Thermosflasche mit Kaffee und stellte zwei Becher auf den Nachttisch.
    »Sand«, sagte er lächelnd.
    »Ein langer, dreiundachtzig Kilo schwerer Sack.«
    »Der nach der Untersuchung von Doktor Choisel in den Sarg gelegt wurde. Und der Deckel war bereits verschraubt, als das Beerdigungsinstitut ihn holen kam. Ihre Reaktionen, Lieutenant?«
    »Danglard war echt überrascht und Mordent plötzlich sehr entspannt. Sie wissen, daß er solcherart Spektakel haßt. Brézillon insgeheim erleichtert. Und vielleicht sogar sehr zufrieden, aber bei ihm läßt sich das schwer sagen. Und Sie?«
    »Von dem Toten befreit und nun von dem Lebenden verfolgt.«
    Retancourt löste ihr Haar und band ihren kurzen Pferdeschwanz neu.
    »In Gefahr?« fragte sie und reichte ihm eine Tasse.
    »Jetzt ja.«
    »Das glaube ich auch.«
    »Vor sechzehn Jahren war ich schon ziemlich nah an ihn herangekommen, und der Richter war ernsthaft bedroht. Aus diesem Grund, denke ich, hat er seinen Tod geplant.«
    »Er hätte genausogut auch Sie töten können.«
    »Nein. Zu viele Bullen wußten Bescheid, mein Tod hätte sich gegen ihn kehren können. Alles, was er wollte, war freie Bahn, und die hat er gekriegt. Nachdem er gestorben war, habe ich alle Nachforschungen aufgegeben, und Fulgence konnte seinen Verbrechen ungehindert weiter nachgehen. Er hätte auch so fortfahren können, wenn der Schiltigheimer Mord mich nicht zufällig aufgerüttelt hätte. Wahrscheinlich hätte ich besser daran getan, die Zeitung an jenem Montag nicht aufzuschlagen. Die mich schließlich geradewegs dahin geführt hat, wo ich jetzt bin, als ein Mörder, der von Versteck zu Versteck hetzt.«
    »Gute Sache, diese Zeitung«, meinte Retancourt. »Wir haben Raphaël gefunden.«
    »Aber ich habe ihn nicht von seiner Tat erlöst. Und mich auch nicht. Ich habe lediglich den Richter erneut in Alarmbereitschaft versetzt. Er weiß, daß ich seit seiner Flucht aus dem Schloß wieder hinter ihm her bin. Das hat mir Vivaldi begreiflich gemacht.«
    Adamsberg nahm ein paar Schlucke Kaffee, und Retancourt stimmte ihm ohne ein Lächeln zu.
    »Er ist ausgezeichnet«, sagte der Kommissar.
    »Vivaldi?«
    »Der Kaffee. Vivaldi auch, ein sehr guter Schumm. Zur selben Zeit, da wir hier reden, Retancourt, weiß der Dreizack vielleicht schon, daß ich seinen Tod gerade für ungültig erklärt habe. Oder er wird es morgen wissen. Wieder versperre ich ihm den Weg, ohne aber eine Möglichkeit, ihn auch zu fassen zu kriegen. Oder Raphaël aus diesem Sternenfeld herunterzuholen, wo er auf einer Umlaufbahn kreist. Oder auch mich. Fulgence sitzt wieder am Ruder, auf immer und ewig.«
    »Nehmen wir mal an, daß er der Quebec-Mission gefolgt wäre.«
    »Ein Hundertjähriger?«
    »Ich sagte ›Nehmen wir an‹. Mir ist ein Hundertjähriger lieber als ein Toter. Wenn dem so wäre, ist es ihm mißlungen, Sie zu Fall zu bringen.«
    »Mißlungen? Ich klemme mit drei Vierteln meines Körpers in seiner Falle und habe fünf Wochen Freiheit.«
    »Was sehr viel bedeuten kann. Immerhin sind Sie noch nicht im Knast und laufen frei herum. Er sitzt am Ruder, gut, aber im Sturm.«
    »Wenn ich er wäre, Retancourt, würde ich mir diesen verfluchten Bullen so schnell wie möglich vom Halse schaffen.«
    »Ich auch. Mir wäre es lieber, wenn ich Sie in Ihrer kugelsicheren Weste wüßte.«
    »Er tötet mit dem Dreizack.«
    »Nicht unbedingt auch Sie.«
    Adamsberg dachte einen Augenblick nach.
    »Weil er mich ohne Zeremoniell abknallen kann? Als wäre ich so was wie ein Sonderfall?«
    »Eine Nebenfigur, ja. Denken Sie denn an eine abgeschlossene Serie? Nicht an eine zwanghafte Mordfolge?«
    »Ich habe oft darüber nachgedacht und oft geschwankt. Ein Mordzwang folgt kürzeren Abständen als denen des Richters, bei dem zwischen den einzelnen Verbrechen Pausen von mehreren Jahren liegen. Und bei einem Zwangstäter beschleunigt sich das

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