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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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deckte. Ziehen Sie fünfzehn Jahre ab. Der Richter war neunundneunzig Jahre alt, weil er 1904 geboren war. Doch was scherte den Teufel ein Personenstand?
     
    Adamsberg lief eine Weile im Zimmer umher, griff dann seine Jacke und ging in die Nacht hinaus. Nachdem er durch die geraden kleinen Straßen des Städtchens gelaufen war, kam er an einen Park und sah im Dunkeln undeutlich die Statue des Kardinals. Gerissener Staatschef, der auch vor Betrügereien nicht zurückgeschreckt war. Adamsberg hockte sich neben die Statue, das Kinn auf den Knien. Ziehen Sie fünfzehn Jahre ab. Nehmen wir mal an. Geboren im Jahre 1919 und nicht 1904. Bei Eintritt in den Ruhestand fünfzig Jahre alt und nicht fünfundsechzig. Und heute vierundachtzig und nicht neunundneunzig. In diesem Alter kletterte der alte Hubert zum Beschneiden noch in den Bäumen herum. Ja, der Richter hatte für sein Alter stets jünger ausgesehen, sogar mit seinem weißen Haar. Zwanzig zu Beginn des Krieges und nicht fünfunddreißig, wiederholte er für sich, indem er an seinen Fingern abzählte. Fünfundzwanzig im Jahr 1944 und nicht vierzig. Warum 1944? Adamsberg sah hinauf zum Bronzegesicht des Kardinals, als erwarte er von ihm eine Antwort. Das weißt du ganz genau, junger Mann, schien ihm der Mann in Rot zuzuraunen. Natürlich wußte er es, der junge Mann.
    1944. Ein Mord durch drei Einstiche in gerader Linie, den er allerdings wieder von seiner Liste gestrichen hatte, weil der Schuldige viel zu jung gewesen war, fünfundzwanzig anstatt vierzig Jahre alt. Adamsberg lehnte die Stirn auf seine Knie, um sich zu konzentrieren. Ein feiner Nieselregen hüllte ihn in seinen Dunst. Er wartete geduldig, daß die alten Fakten aus dem Nebel hervortraten. Oder der namenlose Fisch aus dem historischen Schlamm des Pinksees auftauchte. Es ging um eine Frau. Sie war durch drei Stiche ermordet worden. Auch eine Geschichte mit einem Ertrunkenen spielte eine Rolle in dem Drama. Wann? Vor dem Mord? Danach? Wo? In einem Sumpf? Einer Saline? Einem Teich? In den Landes? Nein, in der Region Sologne. Ein Mann war in einem Teich der Sologne ertrunken. Der Vater. Und nach seiner Beerdigung war diese Frau ermordet worden. Wie aus großer Ferne sah er ein paar verschwommene Fotos in einer alten Zeitung vor sich. Wahrscheinlich der Vater und die Mutter, darüber irgendeine Schlagzeile. Ein Ereignis, das so schockierend gewesen war, daß man eine ganze Seite dafür hergegeben hatte, in einer Zeit, wo das fieberhafte Warten auf die Landung der Alliierten solche vermischten Fakten normalerweise in die Lokalnachrichten verbannte. Adamsberg, den Kopf noch immer zwischen den Knien vergraben, ballte die Fäuste auf der Suche nach dieser Schlagzeile.
    Tragischer Muttermord in der Sologne. So lautete die Schlagzeile des Artikels. Getreu seiner instinktiven Gewohnheit, bewegte sich Adamsberg keinen Zollbreit von der Stelle. Jedesmal, wenn das Bruchstück eines Gedankens unsicher in ihm aufzusteigen begann, regte er sich nicht mehr, aus Furcht, ihn zu verscheuchen, wie ein Angler, wenn die Leine zuckt. Er warf sich erst auf ihn, wenn er ihn wirklich vom Kopf bis zum Schwanz ans Ufer gezogen hatte. Von der Beerdigung zurück, hatte der einzige Sohn des Ehepaars, fünfundzwanzig Jahre alt, seine Mutter ermordet und die Flucht ergriffen. Es hatte einen Zeugen gegeben, irgendeine Hausangestellte, die der junge Mann in seiner Aufregung umgerannt hatte. War er in der Folge festgenommen worden? Oder hatte er sich in den Wirren nach der Landung der Alliierten und der Befreiung aus dem Staub gemacht? Adamsberg wußte es nicht, er hatte den Fall nicht weiterverfolgt, da der Schuldige viel zu jung gewesen war, um Fulgence zu sein. Ziehen Sie fünfzehn Jahre ab. Ein Schuldiger, der demnach Fulgence gewesen sein konnte. Ein Muttermord. Mit dem Dreizack ausgeführt. Die Worte von Commandant Mordent kamen ihm blitzartig in den Sinn. Seine Ursünde, sein erster Mord. Eben solche Sachen, durch die Gespenster entstehen.
     
    Adamsberg hob das Gesicht im Regen und biß sich auf die Lippen. Er hatte alle Verstecke des Gespenstes verriegelt, er hatte das Phantom gezwungen, wieder Gestalt anzunehmen. Und nun hatte er soeben an sein Urverbrechen gerührt. Er wählte Josettes Nummer in der Nacht, krampfte sich an sein Telefon, in der Hoffnung, der Regen würde den ungeschützten Beinchen seines Apparates keinen Schaden zufügen.
    Als er ihre Stimme hörte, hatte er den Eindruck, daß er mit großer

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