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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Tages umkehren würde, wenn Adamsberg, besiegt, zu ihm in seinen Salon, an seinen Sessel zurückkäme. Er sah Brézillons Daumen wieder vor sich und konnte nicht umhin, sich zu fragen, was wohl geschehen würde, wenn man einer Lamprete eine brennende Zigarette ins Maul steckte. Unmöglich, da das Tier ja unter Wasser lebte. Ein Tier, das sich nun auch noch dem Trupp der Geschöpfe anschloß, die das Straßburger Münster zu verstopfen drohten. Gemeinsam mit dem schweren Nachtfalter, der, halb Ohr, halb Pilz, auf dem Dachboden des Schlosses herumspukte.
    Es spielte keine Rolle, woran der Divisionnaire gedacht hatte. Er hatte die Exhumierung genehmigt. Und Adamsberg fühlte sich hin und her gerissen zwischen fieberhafter Erregung und nackter Angst. Zwar war es nicht das erstemal, daß er eine Exhumierung vornahm. Doch den Sarg des Justizbeamten zu öffnen erschien ihm mit einemmal wie eine frevelhafte und unheilvolle Unternehmung. Sie gehen zu weit, hatte Danglard gesagt, Sie dringen in Welten vor, in die ich Ihnen nicht folgen will. Wohin denn? In Richtung Beleidigung, Schändung und Grauen. Ein Abstieg unter die Erde in Begleitung des Richters, der ihn mit in seine Finsternis hinabnehmen konnte. Er sah auf seine Uhren. In genau sechsundvierzig Stunden.

47
     
    Die Polarmütze bis über die Augen heruntergezogen und den Kragen hochgeschlagen, beobachtete Adamsberg von weitem die Vorbereitungen zu den gotteslästerlichen Maßnahmen, unter einem kalten Regen, der die Baumstämme schwärzte, auf dem Friedhof von Richelieu. Die Bullen hatten die Grabstätte des Richters mit einem rotweißen Plastikband eingefaßt und sie so wie eine Gefahrenzone abgesperrt.
    Brézillon hatte sich höchstpersönlich herbewegt, was sehr überraschte bei einem Mann, der den Außendienst seit langem aufgegeben hatte. Er stand ganz in der Nähe des Grabes, in einem grauen Mantel mit schwarzem Samtkragen. Vielleicht war es der Lampreteneffekt, der ihn in die Stadt des Kardinals gezogen hatte, darüber hinaus aber verdächtigte ihn Adamsberg, eine geheime Neugier für die schreckliche Geschichte des Dreizacks zu hegen. Danglard war selbstverständlich gekommen, blieb aber in einigem Abstand zum Grab, als versuchte er, sich aus der Verantwortung zu stehlen. Neben Brézillon stand Lieutenant Mordent unter einem verbeulten Regenschirm und trat von einem Bein aufs andere. Er war es ja gewesen, der empfohlen hatte, das Phantom zu irritieren, um es herauszufordern, und vielleicht bereute er just in diesem Moment seinen verwegenen Vorschlag. Retancourt wartete ohne ersichtliche Gemütsregung und ohne Regenschirm. Sie allein hatte Adamsberg im Hintergrund des Friedhofs ausgemacht und ihm unauffällig zugewinkt. Die Gruppe schwieg konzentriert. Vier städtische Gendarmen hatten den Stein von der Grabstätte gerückt. Die, bemerkte Adamsberg, in all der Zeit keine Patina angesetzt hatte und im Regen glänzte, als hätte das Grab genau wie der Richter den sechzehn verstrichenen Jahren getrotzt.
    Der Erdhügel bildete sich nur langsam, die Gendarmen hatten Mühe, die feuchte Erde auszuheben. Die Polizisten hauchten in ihre Hände oder schlugen die Füße gegeneinander, um sich aufzuwärmen. Adamsberg spürte, wie sich sein eigener Körper spannte, und er hielt seinen Blick weiter auf Retancourt gerichtet, in Nahkampfstellung an ihren Rücken geklammert, um mit ihr atmen und sehen zu können.
    Knirschend rutschten die Schaufeln über das Holz. Clémentines Stimme drang bis zu ihm auf den Friedhof. An den schattigen Stellen ein Blatt nach dem anderen hochheben. Den Deckel des Sarges anheben. Wenn die Leiche des Richters in dieser Kiste lag, wußte Adamsberg, daß er mit ihm in die Erde sinken würde.
    Die Gendarmen hatten die Seile angebracht und zogen nun den Eichensarg nach oben, der sich schwankend und in ziemlich gutem Zustand in die Luft erhob. Die Männer machten sich an den Schrauben zu schaffen, als Brézillon ihnen mit einem Wink zu bedeuten schien, den Deckel mit der Brechstange zu sprengen. Adamsberg war von Baum zu Baum näher herangetreten, wobei ihm zugute kam, daß die Aufmerksamkeit aller auf den Sarg gerichtet war. Er folgte den Bewegungen der Eisenstangen, die unter der Holzplatte knirschten. Der Deckel zerbarst und schlug zu Boden. Adamsberg forschte in den stummen Gesichtern. Brézillon hockte sich als erster hin und führte seine behandschuhte Hand näher heran. Mit einem Messer, das Retancourt ihm lieh, stach er einige Male zu,

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