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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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ihre Praxis vier Monate nach dem Tod des Richters geschlossen.«
    »In den Ruhestand gegangen?«
    »Ganz sicher nicht. Sie war achtundvierzig Jahre alt.«
    »Hervorragend. Dann stürzen wir uns jetzt auf sie.«
    »Das ist nicht so einfach. Sie hat einen ziemlich geläufigen Namen. Aber mit vierundsechzig Jahren könnte sie noch immer praktizieren. Wir werden über die Branchenverzeichnisse gehen.«
    »Mit einem Abstecher ins Strafregister, auf der Suche nach Spuren von Colette Choisel.«
    »Wenn sie wirklich vorbestraft wäre, könnte sie nicht mehr praktizieren.«
    »Genau. Wir suchen nach einem Freispruch.«
    Adamsberg ließ Josette an Aladins Wunderlampe zurück und ging Clémentine helfen, die das Gemüse fürs Mittagessen putzte.
    »Sie schlüpft da hinein wie ein Aal unter den Fels«, sagte Adamsberg und setzte sich.
    »Na, ich bitte Sie, das ist doch schließlich ihr Beruf«, meinte Clémentine, die wohl nicht die ganze Komplexität von Josettes betrügerischen Machenschaften erfaßte.
    »Das ist wie mit ’n Erdäppeln«, fuhr sie fort. »Die müssen Sie mir auch schön schälen, Adamsberg.«
    »Ich weiß, wie man Kartoffeln schält, Clémentine.«
    »Nein. Sie schneiden ja gar nicht richtig die Augen raus. Sie müssen die Augen rausschneiden, das ist Gift.«
    Mit geübtem Griff zeigte ihm Clémentine, wie man flugs einen kleinen Trichter in die Knolle bohrte und die schwarze Spitze auswarf.
    »Das ist Gift, solange es roh ist, Clémentine.«
    »Egal. Die Augen schneidet man weg.«
    »Verstanden. Ich werde drauf achten.«
    Die von Clémentine kontrollierten Kartoffeln waren gekocht und der Tisch gedeckt, als Josette ihre Ergebnisse meldete.
    »Bist du zufrieden, meine Josette?« fragte Clémentine, während sie die Teller füllte.
    »Ich glaube schon«, sagte Josette und legte ein Blatt neben ihr Besteck.
    »Ich hab’s nicht so gern, wenn beim Essen gearbeitet wird. Nicht, daß es mich persönlich stört, aber es hätte meinem Vater nicht gefallen. Allerdings geht es heute mal in Ordnung, weil Sie ja nur sechs Wochen haben.«
    »Colette Choisel praktiziert seit sechzehn Jahren in Rennes«, Josette las ihre Notizen vor. »Mit siebenundzwanzig Jahren geriet sie in eine mißliche Lage. Eine ihrer Patientinnen starb, eine ältere Frau, deren Schmerzen sie mit Morphium linderte. Ein gravierendes Versehen, eine Überdosis, die sie die Karriere kosten konnte.«
    »Na, das wundert mich nicht«, meinte Clémentine.
    »Wo war das, Josette?«
    »In Tours, in Fulgences zweiter Rechtsdomäne.«
    »Freigesprochen?«
    »Freigesprochen. Der Anwalt hat nachgewiesen, daß die Ärztin sich korrekt verhalten hat. Er hat geltend gemacht, daß die Patientin, eine ehemalige Tierärztin, alle Möglichkeiten hatte, sich selbst Morphium zu beschaffen, und es sich auch selbst verabreicht hatte.«
    »Der Anwalt, ein Vasall von Fulgence.«
    »Die Geschworenen haben auf Selbstmord erkannt. Choisel ist unbeschadet aus der Sache hervorgegangen.«
    »Und als Geisel des Richters. Josette«, fügte Adamsberg hinzu, indem er seine Hand auf den Arm der alten Dame legte, »Ihre verborgenen Kanäle werden uns demnächst ins Freie führen. Oder besser gesagt, unter die Erde.«
    »Wie schön«, meinte Clémentine.
    Adamsberg, seinen Teller mit dem Nachtisch auf den Knien, saß noch lange in Gedanken in der Kaminecke. Der Weg, der vor ihm lag, war nicht leicht zu gehen. Obgleich Danglard scheinbar zu seiner gewohnten Ruhe zurückgefunden hatte, würde er ihn zum Teufel jagen. Retancourt aber würde ihm nüchterner zuhören. Er zog den Skarabäus mit den roten und grünen Beinchen aus seiner Tasche und tippte die Nummer auf seinen leuchtenden Rücken. Ein wohliges, erholsames Beben durchfuhr ihn, als er die tiefe Stimme seines Ahorn-Lieutenants vernahm.
    »Keine Sorge, Retancourt, ich wechsle alle fünf Minuten die Frequenz.«
    »Danglard hat mich über Ihre Frist informiert.«
    »Sie ist kurz, Lieutenant, und ich muß mich beeilen. Ich glaube, der Richter hat seinen Tod überlebt.«
    »Mit anderen Worten?«
    »Ich habe zwar nur ein Ohr von ihm erwischt. Aber vor zwei Jahren hat sich dieses Ohr zwanzig Kilometer von Schiltigheim entfernt noch geregt.«
    Einsam und behaart, war es auf dem Dachboden des Schlosses wie ein großer, unheilvoller Nachtfalter herumgegeistert.
    »Und hängt an diesem Ohr noch irgend etwas dran?« fragte Retancourt.
    »Ja, ein zweifelhafter Totenschein. Die Ärztin, die ihn ausgestellt hat, saß im Krabbenkorb von Fulgences

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