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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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er aus der Zelle ging, seine freie Hand auf die Schulter und drückte sie, was soviel bedeutete wie: Ich gehe jetzt, ich zähle auf dich.
     
    Auf dem Weg zurück ins Büro fragte der Brigadier Adamsberg rasch, ob er, bei allem Respekt, die Geschichte über den Bären erfahren könne. Adamsberg entkam dank Trabelmann, der sie unterbrach.
    »Ihr Eindruck?« fragte Trabelmann.
    »Schwätzer.«
    »Ach, sieh mal an. Bei mir jedenfalls nicht. Ist ein ganz Schlaffer, dieser Typ.«
    »Zu schlaff. Verstehen Sie mich nicht falsch, Commandant, aber es ist gefährlich, einen so versoffenen Alkoholiker wie Vétilleux plötzlich auf Entzug zu setzen. Er könnte dabei draufgehen.«
    »Das weiß ich natürlich, Kommissar. Er bekommt ein Glas zu jeder Mahlzeit.«
    »Gut, verdreifachen Sie die Dosis. Glauben Sie mir, Commandant, es ist nötig.«
    »Verstanden«, sagte Trabelmann, durchaus nicht beleidigt.
    »Und gab es bei all seinem Geschwätz etwas Neues?« fragte er und setzte sich an seinen Tisch.
    »Der Typ ist intelligent und sensibel.«
    »Da gebe ich Ihnen recht. Aber wenn man wie ein Loch gesoffen hat, ist das keinen Pfifferling mehr wert. Die Kerle, die ihre Frauen schlagen, sind bis zum Abend oft wahre Lämmer.«
    »Aber Vétilleux ist nicht vorbestraft, nicht mal eine Schlägerei, oder? Das haben die Bullen in Straßburg doch bestätigt?«
    »Allerdings. Ein Kerl, der ihnen keine Sorgen macht. Bis zu dem Tag, wo alles aus der Bahn gerät. Sind Sie jetzt auf seiner Seite?«
    »Ich habe ihm zugehört.«
    Adamsberg gab einen sachlichen Bericht über seine Unterredung mit Vétilleux, mit Ausnahme der flinken Fläschchenübergabe.
    »Nichts spricht dagegen«, schloß Adamsberg, »daß Vétilleux auf den Rücksitz eines Wagens geladen wurde. Er fühlte, daß er warm und bequem lag, aber ihm war übel.«
    »Und Sie, Sie rekonstruieren einen Wagen, eine Reise, einen Fahrer nur aus einem ›Gefühl der Wärme‹ heraus? Das ist alles?«
    »Ja.«
    »Das ist zum Lachen, Adamsberg. Sie erinnern mich an die Kerle, die ein Kaninchen aus einem Zylinder zaubern.«
    »Und doch springt das Kaninchen heraus.«
    »Sie denken wohl an den anderen Penner?«
    »Ein Penner, der seine eigene Flasche hatte und aus einem Becher trank. Ein Penner, der von oben kam. Alt.«
    »Aber trotzdem ein Penner.«
    »Vielleicht, aber nicht sicher.«
    »Sagen Sie mal, Kommissar, hat es in Ihrer ganzen Laufbahn jemals einer geschafft, Sie von Ihrer Meinung abzubringen?«
    Adamsberg nahm sich die Zeit, um ehrlich über diese Frage nachzudenken.
    »Nein«, gab er endlich mit leichtem Bedauern in der Stimme zu.
    »Das habe ich befürchtet. Lassen Sie mich sagen, daß Ihr Ego so groß ist wie dieser Tisch hier, wahrhaftig.«
    Adamsberg kniff wortlos die Augen zusammen.
    »Ich sage das nicht, um Sie zu beleidigen, Kommissar. Aber in diesem Fall kreuzen Sie mit einem Haufen persönlicher Ansichten auf, an die nie jemand geglaubt hat. Dann arrangieren Sie die Fakten so, bis sie Ihnen passen. Ich sage gar nicht, daß es keine interessanten Aspekte in Ihrer Analyse gibt. Aber die andere Seite untersuchen Sie nicht, der hören Sie nicht einmal zu. Und ich hab hier einen besoffenen Kerl, der ganz in der Nähe des Opfers geschnappt wurde, die Waffe neben sich, mit seinen Fingerabdrücken drauf. Begreifen Sie?«
    »Ich verstehe Ihren Standpunkt.«
    »Aber Sie pfeifen auch drauf und bleiben bei dem Ihren. Die anderen können sich mit ihrer Arbeit, ihren Ansichten und Eindrücken zum Teufel scheren. Sagen Sie mir nur noch eins: Die Straßen sind voll von Mördern, die frei herumlaufen. Unsere Speicher sind voll von Fällen, die wir, Sie und ich, nie abgeschlossen haben. Und dies hier war nicht einmal Ihr Fall. Also? Warum gerade der?«
    »Wenn Sie Akte Nummer sechs aus dem Jahr 1973 lesen, werden Sie erfahren, daß der beschuldigte Jugendliche mein Bruder war. Sein Leben wurde kaputtgemacht dadurch, und ich habe ihn verloren.«
    »War das Ihre ›Kindheitserinnerung‹? Hätten Sie das nicht früher sagen können?«
    »Sie hätten mir nicht bis zum Ende zugehört. Zu sehr hineinverwickelt, zu persönlich.«
    »Allerdings. Angehörige, die in der Scheiße sitzen, was Schlimmeres gibt es nicht, damit ein Bulle ins Verderben rast.«
    Er zog die Akte Nummer sechs hervor und legte sie mit einem Seufzer oben auf den Stapel.
    »Hören Sie, Adamsberg«, fuhr er fort, »in Anbetracht Ihrer Bekanntheit werde ich mir Ihre Akten mal zu Gemüte führen. Auf diese Weise ist der Austausch

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