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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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deinen Trinkpott, und dann, vorbei, trinkst du aus der Flasche von jedem x-beliebigen Säufer. Wie ich. Außer, daß ich nie mit einem trinke, der riecht, aber das ist was andres, ’ne Frage der Nase, ich verurteile keinen.«
    »Also würdest du sagen, daß er noch nicht länger als vier Monate auf der Straße war?«
    »Ich bin ja nicht Moses. Aber trotzdem würd ich sagen, der war noch ganz frisch. Der war sicher von seiner Frau sitzengelassen oder rausgeschmissen worden, weiß man’s?«
    »Und habt ihr euch unterhalten?«
    »Nicht gerade viel. Wir haben gesagt, daß der Wein gut ist. Daß man bei diesem Wetter keinen Hund vor die Tür jagt. Solche Sachen eben, das übliche Zeug.«
    Vétilleux hatte seine Hand auf seinen dicken Pullover gelegt, dorthin, wo die Hemdtasche saß, in die er das Fläschchen gesteckt hatte.
    »Ist er lange geblieben?«
    »Weißt du, auf Zeit achte ich nie.«
    »Ich meine: Ist er wieder gegangen? Hat er in dem Hüttchen geschlafen?«
    »Daran erinnre ich mich nicht. Da muß ich wohl eingedrusselt sein. Oder wieder rumgelaufen, weiß nicht.«
    »Und dann?«
    Vétilleux breitete die Arme aus und ließ sie wieder auf seine Beine fallen.
    »Und dann, dann war da die Straße. Der Morgen und die Polizei.«
    »Hast du was geträumt? Ein Bild? Eine Empfindung?«
    Der Mann runzelte unschlüssig die Stirn, faßte sich an den Pullover und kratzte mit seinen langen Nägeln über die abgenutzte Wolle. Adamsberg wandte sich wieder dem Brigadier zu, der seine Beine lockerte, indem er auf der Stelle trat.
    »Brigadier, hätten Sie die Freundlichkeit, mir meine Tasche zu bringen? Ich muß etwas aufschreiben.«
    Vétilleux tauchte aus seiner Mattheit auf, riß mit Reptiliengeschwindigkeit das Fläschchen heraus, öffnete es und goß sich mehrere Schlucke hinter. Bis der Brigadier zurückkam, war alles wieder an seinem Platz unter dem Pullover. Adamsberg bewunderte sein Geschick und seine Schnelligkeit. Ständiger Gebrauch stärkt das Organ. Vétilleux war ein intelligenter Typ.
    »Eine Sache, ja«, sagte er plötzlich mit geröteten Wangen, »Ich hab geträumt, daß ich ein gemütliches Plätzchen ergattert hatte, schön warm zum Pennen. Und mich nervte, daß ich nicht mal richtig was davon hatte.«
    »Warum?«
    »Weil ich Lust hatte zu kotzen.«
    »Passiert dir das oft? Daß du kotzen willst?«
    »Nie.«
    »Und daß du träumst, du wärst schön im Warmen?«
    »Hör mal, wenn ich meine Nächte damit zubringen würde, davon zu träumen, daß ich’s warm habe, wäre das ’n Hit, mein Junge.«
    »Besitzt du so etwas wie ein Stecheisen?«
    »Nein. Oder aber der Typ von oben hat’s mir gegeben. Ich meine, der Typ von oben, der unten gelandet war. Oder aber ich hab’s geklaut. Was weiß ich? Wie’s aussieht, hab ich das arme Mädchen mit diesem Ding umgebracht. Vielleicht ist sie gestürzt auf der Straße, vielleicht hab ich sie für einen dicken Bären gehalten, kann man’s wissen?«
    »Glaubst du das?«
    »Immerhin sind es meine Fingerabdrücke. Und ich lag genau daneben.«
    »Und warum hättest du den dicken Bären und sein Fahrrad aufs Feld schleppen sollen?«
    »Versteh einer, was im Kopf eines Säufers vorgeht, versteh einer. Auf jeden Fall bereu ich’s, weil ich nicht gern jemandem weh tue. Ich bring keine Tiere um, also warum sollte ich Menschen umbringen? Selbst wenn sie Bären sind? Ich glaube nicht, daß ich Angst vor Bären hab. Scheint so, als hätten sie in Kanada viele. Sie kramen in den Mülltonnen wie ich. Das würde ich gern mal sehen, ich meine, mit ihnen in den Mülltonnen kramen.«
    »Vétilleux, wenn du alles über Bären wissen willst …«
    Adamsberg drückte seinen Mund an sein Ohr.
    »Sag nichts, leg kein Geständnis ab«, murmelte er ihm zu. »halt den Mund, sag nur die Wahrheit. Dein Gedächtnisverlust. Versprich es mir.«
    »Hey!« unterbrach ihn der Brigadier. »Verzeihung, Kommissar, aber es ist nicht gestattet, mit Tatverdächtigen zu flüstern.«
    »Ich bitte um Entschuldigung, Brigadier. Ich habe ihm nur eine kleine unanständige Geschichte über einen Bären erzählt. Der Kerl hat doch sonst keine Ablenkung.«
    »Egal, Kommissar, aber ich kann es nicht dulden.«
    Adamsberg starrte Vétilleux schweigend an. Er machte ein Zeichen, das soviel hieß wie: Verstanden? Und Vétilleux nickte. Versprochen? fragte Adamsberg stumm. Wieder ein Nicken, roter, aber klarer Blick. Der Kerl hatte ihm das Fläschchen gegeben, der war ein Kumpel. Adamsberg stand auf und legte ihm, bevor

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