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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Dieses Netz erstreckte sich in die Welt der Ganoven ebenso wie in die des Bürgertums, der Geschäftsleute oder Beamten und sogar der Polizei. Sich falsche Papiere auf den Namen Maxime Leclerc zu beschaffen war für den Dreizack kein Problem. Genausowenig, wie seine Vasallen in alle Ecken Frankreichs zu entsenden, falls es nötig war. Oder von heute auf morgen einen Trupp für einen Blitzumzug zu versammeln. Keine dieser Geiseln konnte sich aus der Abhängigkeit des Richters lösen, ohne ihr Vergehen zu offenbaren und einen neuen Prozeß zu riskieren. Und es war einer dieser Ex-Beschuldigten gewesen, der für die Haushälterin kurzzeitig die Rolle des Eigentümers gespielt hatte. Danach hatte Richter Fulgence unter dem Namen Maxime Leclerc Besitz ergriffen von dem Ort.
    Daß der Richter umzog, verstand er. Aber die Plötzlichkeit seines Vorgehens überraschte ihn. Diese extreme Eile zwischen Verkaufsabsicht und Räumung der Örtlichkeiten paßte nur schlecht zu Fulgences ungeheuren Fähigkeiten der Voraussicht. Es sei denn, ein unerwarteter Umstand hätte ihn überrascht. Sicherlich nicht Trabelmann, der seine Identität nicht kannte.
    Adamsberg runzelte die Stirn. Was hatte Danglard gleich gesagt hinsichtlich der Identität des Richters, seines Namens? Etwas Lateinisches, wie der Dorfpfarrer. Adamsberg verzichtete darauf, seinen Stellvertreter anzurufen, der ihm wegen Camille, des Untoten und der Boeing mit jedem Tag feindseliger wurde. Er beschloß, Clémentines Rat zu befolgen, und zerbrach sich lange den Kopf. Es war bei ihm zu Hause gewesen, nach dem Vorfall mit der Flasche. Danglard pichelte seinen Wacholderschnaps und meinte, daß der Name Fulgence »ausgezeichnet zu dem Richter paßte«. Und Adamsberg hatte ihm zugestimmt.
    Fulgence, der Blitz, das Leuchten, das waren Danglards Worte gewesen. Der Blitz, l’éclair, Leclerc. Und wenn er nicht irrte, bedeutete Maxime der Größte, wie maximus. Maxime Leclerc. Der Größte, der Hellste. Die größte Helligkeit, der Blitz. Der Richter Fulgence hatte sich nicht zu einem bescheidenen Namen entschließen können.
    Der Zug bremste und fuhr in die Gare de l’Est ein. Der Hochmut bringt die größten Männer zu Fall, sagte sich Adamsberg. Und genau bei diesem Hochmut bekäme er ihn eines Tages zu fassen. Wenn sich sein eigenes Münster in 142 Meter gotische Höhe erhob, was noch zu beweisen war, mußte das von Fulgence die Wolken durchstoßen. Dort oben machte er sein Gesetz, schleuderte er goldene Sicheln ins Sternenfeld. Schleuderte seinen Bruder wie so viele andere vor die Gerichte und in die Kerker. Er fühlte sich plötzlich sehr klein. Machen Sie sich klein, hatte Brézillon angeordnet. Nun, genau das tat er, und doch trug er in seiner Tasche immer noch einige Haare, die ein Toter verloren hatte.

16
     
    Am Dienstag, dem 14. Oktober, warteten die acht Mitglieder der Quebec-Mission darauf, an Bord der Boeing 747 gehen zu dürfen, Abflugzeit 16 Uhr 40, voraussichtliche Ankunft gegen Mitternacht, 18 Uhr Ortszeit. Adamsberg spürte, wie sehr der Ausdruck »voraussichtliche Ankunft«, den eine weiche Stimme aus den Lautsprechern wiederholte, Danglard Übelkeit verursachte. Seit den zwei Stunden, die sie nun schon im Flughafen Roissy umherliefen, beobachtete er ihn aufmerksam.
    Die restliche Mannschaft, durch die ungewohnten Umstände etwas aufgescheucht, fiel in ein frühkindliches Stadium zurück und verwandelte die Brigade in eine Horde aufgeregter Jugendlicher. Er warf einen Blick auf Lieutenant Froissy, eine Frau von heiterem Gemüt, die aber noch immer an ihrer Depression litt – Liebeskummer, nach dem, was er im Gerüchtezimmer gehört hatte. Ohne daß sie die kindische Ausgelassenheit ihrer Kollegen teilte, schien diese Abwechslung sie zu zerstreuen, und er hatte sie einige Male lächeln sehen. Nicht so Danglard. Nichts schien den Capitaine aus seinen düsteren Vorahnungen herausreißen zu können. Sein langer Körper, schon von Natur aus weich, zerfloß immer mehr, je näher der Moment des Abflugs rückte. Als könnten ihn seine Beine nicht mehr tragen, verließ er seinen metallenen Schalensitz nicht mehr, der ihn wie eine Waschschüssel zurückzuhalten schien. Dreimal hatte Adamsberg gesehen, wie er in seiner Jackentasche gewühlt und eine Tablette an seine blassen Lippen geführt hatte.
    Da sie von seinem Unwohlsein wußten, achteten die Kollegen aus Taktgefühl nicht auf ihn. Der gewissenhafte Justin, der stets zögerte, seine Meinung zu sagen, aus

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