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Der vierzehnte Stein

Der vierzehnte Stein

Titel: Der vierzehnte Stein Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Fred Vargas
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Nachrichtenraum folgte. Er dachte an Fulgences Tod. Früher oder später würde Laliberté davon erfahren, wie Trabelmann. Das Beunruhigendste war die Akte über seinen Bruder. Sie enthielt eine Skizze von dem Stecheisen, das er in die Torque geschmissen hatte, und Notizen über seine Falschaussage während des Prozesses. Streng vertrauliche Stücke. Nur Danglard konnte ihn da herausholen, falls er auf den Gedanken käme, eine Auswahl vorzunehmen. Und wie sollte er ihn unter dem Adlerauge des Surintendant darum bitten? Er hätte sich eine reichliche Stunde Zeit gewünscht, um darüber nachzudenken, aber er würde sehr viel schneller handeln müssen.
    »Ich hole nur ein Päckchen aus meiner Jacke, ich komme sofort«, sagte er und verließ den Raum.
    Im leeren Büro des Surintendant war Retancourt, leicht dösend, auf ihrem Stuhl ein wenig zusammengesunken. In Zeitlupentempo nahm er mehrere Tütchen aus den ausgebeulten Taschen seines Mantels und kehrte ohne Eile zu den drei Offizieren zurück.
    »Hier«, sagte er zu Sanscartier und reichte ihm die Beutel mit einem unmerklichen Augenzwinkern. »Es sind sechs Fläschchen drin. Teil sie mit Ginette, falls sie das mag. Und wenn du wieder welche brauchst, ruf mich an.«
    »Was gibst du ihnen denn da?« grummelte Laliberté.
    »Ein Gesöff aus Frankreich?«
    »Mandelmilchseife. Das ist keine Beamtenbestechung, es ist ein Weichspüler für die Seele.«
    »Criss, Adamsberg, bring mich bloß nicht zum Lachen. Wir sind zum Arbeiten hier.«
    »In Paris ist es nach zehn Uhr abends, und nur Danglard weiß, wo meine Akten sind. Es ist besser, wenn ich ihm ein Fax nach Hause schicke. Dann hat er es, wenn er aufsteht, und du gewinnst Zeit.«
    »Right, Mensch. Wie du willst. Schreib deinem Slack.«
    Was Adamsberg die Möglichkeit gab, eine handschriftliche Bitte an Danglard zu verfassen. Die einzige Idee, auf die er während seines kurzen Seifenausflugs gekommen war, sicher eine Schüleridee, die aber dennoch funktionieren konnte. Er mußte seine Handschrift, die Danglard in- und auswendig kannte, entstellen, indem er die D und die R darin größer schrieb, also Anfang und Ende des Wortes Danger, Gefahr. Was möglich war in einer kurzen Nachricht mit Wörtern wie Danglard, Dossier, Adressieren, Adamsberg, Dreizack. In der Hoffnung, daß Danglard seine Augen wirklich aufsperrte, daß er es auch verstünde, daß er mißtrauisch würde und die kompromittierenden Stücke entfernte, bevor er das Ganze einscannte.
    Das Fax, vom Surintendant kontrolliert, wurde abgeschickt und trug über die unteratlantischen Drähte die Hoffnungen des Kommissars mit sich fort. Jetzt konnte er sich nur noch auf den Scharfsinn seines Stellvertreters verlassen. Er dachte kurz an Danglards schwertschwingenden Engel und beschwor ihn, er möge ihn nur dieses eine Mal bereits bei Tagesanbruch in den Vollbesitz seiner Logik bringen.
    »Morgen hat er’s. Mehr kann ich nicht tun«, schloß Adamsberg und stand auf. »Ich habe dir alles gesagt.«
    »Ich nicht. Eine vierte Sache läßt mir keine Ruhe«, sagte der Surintendant und hob seinen vierten Finger.
    Akkurat und nochmals akkurat.
    Adamsberg setzte sich wieder vor das Faxgerät, Laliberté blieb stehen. Noch so ein Bullending. Adamsberg suchte den Blick von Sanscartier, der regungslos seinen Seifenbeutel an sich drückte. Und in diesen Augen, aus denen immer nur ein und derselbe Ausdruck, nämlich Güte zu sprechen schien, las er plötzlich etwas anderes. Falle, Schumm. Paß auf deine Nüsse auf!
    »Hattest du mir nicht gesagt, daß du mit Achtzehn angefangen hast, ihn zu verfolgen?« fragte Laliberté.
    »Ja.«
    »Eine dreißig Jahre dauernde Jagd, findest du das nicht reichlich lang?«
    »Nicht länger, als fünfzig Jahre hindurch zu morden. Jedem sein Metier: Er beharrt, ich beharre.«
    »Kennt ihr in Frankreich keine geschlossenen Akten?«
    »Doch.«
    »Hattest du nie ungelöste Fälle?«
    »Nicht viele.«
    »Aber du hattest welche?«
    »Ja.«
    »Warum hast du dann nicht auch den hier aufgegeben?«
    »Wegen meines Bruders. Ich hab’s dir erzählt.«
    Laliberté lächelte, als hätte er gerade einen Punkt errungen. Adamsberg sah zu Sanscartier hin. Dasselbe Signal.
    »Hast du diesen Bruder denn dermaßen geliebt?«
    »Ja.«
    »Wolltest du ihn rächen?«
    »Nicht rächen, Aurèle. Seine Unschuld beweisen.«
    »Streit hier nich über Wörter rum, das läuft aufs selbe hinaus. Weiß du, woran deine Ermittlung erinnert? So wie du seit dreißig Jahren um sie

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