Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)
eine betriebswirtschaftliche Rechnung: Die Automobilen und Zügen zugrunde liegende Technik war weitgehend dieselbe, am Ende sollte die Kosten-Nutzen-Rechnung entscheiden, welchem Verkehrskonzept man den Vorzug gab.
Baaders vorläufiges Fazit im Jahre 1832:
Die Substituirung der Dampfkraft für die Kraft der Pferde zum Forttreiben von Kutschen und Wagen ist nun seit mehr als 20 Jahren der Gegenstand eines allgemeinen und fortwährenden Interesses gewesen; die Erwartungen, selbst der am wenigsten sanguinischen, sind von Zeit zu Zeit aufgeregt, und bis zur vollen Zuversicht durch die Berichte von dem scheinbaren Erfolge eines glüklichen Projectanten, welcher die große Aufgabe vollkommen gelöst hätte, gesteigert worden; allein diese Erwartungen haben die darauf erfolgten Enttäuschungen durch das jedesmalige gänzliche Fehlschlagen dieser Versuche nur desto empfindlicher gemacht.
In heutiger Sprache salopp zusammengefasst heißt das: Auch wenn es ab und zu jemandem gelang, mit Dampfwagen eine Menge Reibach zu machen, der Hype hielt nicht, was er versprach.
Das lag zum einen am Verbrauch. Ein Dampfwagen, der eine Tonne Ladung oder Passagiere über Stock und Stein transportierte, rechnete Baader einmal vor, verbrauchte fast dreizehnmal so viel Koks wie eine Eisenbahn mit gleicher Last auf gleicher Streckenlänge. Auf unwegsamer Strecke hatte der Dampfwagen trotzdem allemal die Nase vorn.
Widerstand gegen den Jobkiller
Viel wichtiger als der Koksverbrauch wurde aber ein anderer Faktor, der den Dampfwagen-Konstrukteuren zunehmend das Geschäft verdarb: Der Widerstand des Kutschergewerbes, der Kahnschiffer und Straßenbesitzer. Kein Wunder, denn trotz erbärmlicher Straßen wuchs der Erfolg der Dampfwagenbetreiber ständig – und nicht nur im Transportgewerbe über Land, sondern auch im innerstädtischen Verkehr. 1837 operierten in London schon Omnibusse mit Anhänger, die pro Fuhre bis zu 48 Personen transportierten. Und das mit hoher Zuverlässigkeit und immer höherer Geschwindigkeit:
Dieß ist jedoch nicht die möglich größte Geschwindigkeit, indem der Wagen eines Tages, mit 20 erwachsenen Personen beladen, 21 engl. Meilen in der Zeitstunde zurüklegte. Der Automaton fährt nun 20 Wochen lang in den Straßen Londons und seiner Vorstädte; er legte in dieser Zeit 4200 engl. Meilen zurük und brachte 12.761 Personen an Ort und Stelle.
Rekordverdächtige Leistungen schafften auch die Wagen der Gurney Steam Carriage Company. Sie brachten es schon vor 1830 auf bis zu 32 km/h – und wurden von Gurney unter anderem für touristische Landfahrten eingesetzt, die sich bis zu 160 Kilometer weit von London entfernten.
Für die Männer an den Zügeln herkömmlicher Kutschen war das ein Albtraum. Sie alle fürchteten die Konkurrenz der Dampfwagen weit mehr als die der Eisenbahn: Die Automobile fuhren dorthin, wohin eine Straße führte, für Züge aber musste erst aufwendig eine Schienentrasse gelegt werden. Schon in den 20er Jahren des 19. Jahrhunderts kam es zu ersten Sabotageaktionen: Mehrere Bus-und Frachtunternehmen wurden in die Pleite getrieben, indem man auf den Strecken, die sie befuhren, knöcheldick Schotter ausbrachte und so die Dampfwagen bremste oder sogar stoppte. Und das war noch die sanfte Tour, der neuen Konkurrenz zu zeigen, wer das Sagen hatte.
»A View in Whitechapel Road« (1831): Karikatur aus der Zeit des ersten Dampfauto-Booms. Die Technik hatte aber viele Gegner
Der Unmut der traditionellen Transportunternehmer war nicht unbegründet. 1831 berichtete das Journal unter der Überschrift »Einfluß der Eisenbahnen und Dampfwagen auf Bevölkerung«: In Folge der neuen Liverpool-und Manchester-Eisenbahn wurden bereits 14 Lohnkutscher, jeder mit 12 Pferden, brotlos. Es kommen also für diese Strecke allein 168 Pferde aus dem Futter.
Die Sympathie der Journalisten mit den nun brotlosen Pferdekutschern hielt sich allerdings in Grenzen. Der Bericht rechnete weiterhin auf, dass man auf der Fläche, die man bisher gebraucht habe, um die genannten 168 Pferde zu ernähren, nun genügend Getreide anbauen könne, um 1.512 Menschen zu ernähren. Aber auch das traditionelle Transportgewerbe hatte es in sich. Die Kutscher und Schiffer beließen es nicht bei Formen passiven Widerstands. Der Kampf um den Transportmarkt wurde mit harten Bandagen geführt. In ihrer Verzweiflung schreckten die Transportarbeiter, die ihre Jobs gefährdet sahen, selbst vor Handgreiflichkeiten nicht zurück. Immer wieder sollte es
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