Der viktorianische Vibrator: Törichte bis tödliche Erfindungen aus dem Zeitalter der Technik (German Edition)
Lebemann, sondern begeisterter Hobby-Wissenschaftler. Viele Reiche und Angehörige des Landadels widmeten sich mit Begeisterung den neuen technologischen Möglichkeiten. Mitte des 19. Jahrhunderts stand es einem adligen Intellektuellen gut, seine Tage nicht mit Fuchsjagden zu vergeuden, sondern seine Bildung und Kreativität in Technik zu investieren – sei es, um sich als Förderer des Fortschritts in die Geschichte einzuschreiben, sei es, um Profit zu machen.
Parsons und seine Söhne wollten beides, und sie hatten die Mittel, ihre Ambitionen auszuleben: Parsons erbaute auf seinem Grundbesitz unter anderem das Ross Six Foot Telescope, das von 1845 bis 1917 das größte Teleskop der Welt sein sollte – ausgerechnet im verregneten Irland. Mary Ward dokumentierte den Bauprozess mit zahlreichen Skizzen, ihr zeichnerisches Talent fiel dabei erstmals auf.
Was sich Mary Wards Cousin William Parsons in den Garten stellte, blieb über 70 Jahre das größte Teleskop der Welt
So soll es der Astronom James South gewesen sein, dem Marys Talent ins Auge stach, als er sich ihre Zeichnungen von Insekten ansah, die sie vorher durch ein Vergrößerungsglas betrachtet hatte. Angeblich überzeugte South Marys Vater, ihr ein Mikroskop zu schenken – für Mary der Beginn einer Obsession und der Grundstein für eine zu ihrer Zeit ungewöhnliche Karriere.
Natürlich konnte sie nicht studieren, Universitäten nahmen Frauen normalerweise nicht auf (es gab seltene Ausnahmen). Weil aber ihr Cousin zum Präsident der wissenschaftlichen Royal Society Großbritanniens ernannt wurde, fehlte es ihr glücklicherweise nie an Input und Gesprächspartnern mit Expertise. Sie lernte autodidaktisch, und derart viel, dass sie selbst zu einer Fachgröße wurde: Ihr erstes Buch, eine Anleitung zur Mikroskopie und Dokumentation des Lebens im Kleinen, verlegte sie selbst, statt sich – wie damals üblich – ein männliches Pseudonym oder einen Strohmann zu besorgen. Das Buch verkaufte sich in rekordverdächtiger Zeit – und bescherte ihr einen regulären Vertrag mit einem Verleger.
Mary Ward wurde somit zur gefeierten populärwissenschaftlichen Autorin: Die Bücher der Autodidaktin, leicht verständliche Einführungen in das wissenschaftliche Arbeiten mit Mikroskopen, von ihr selbst reichhaltig bebildert, wurden zu Bestsellern. Ihr Erstling erlebte acht Neuauflagen, zwei weitere Bücher folgten, dazu etliche Artikel. Zu mehr fehlte ihr die Zeit.
Neben gesellschaftlichen Verpflichtungen war sie bis 1869, auf dem Höhepunkt ihres Ruhms, auch sieben Mal Mutter geworden. Ihr Mann Henry, der in britischen Kolonialkriegen zum mehrfach ausgezeichneten Helden geworden war, hatte den Dienst quittiert, wurde nun aber als Repräsentant der nordirischen Grafschaft Down ins britische Unterhaus gewählt. Mary und ihre Kinder verbrachten auch deshalb weiterhin mehr Zeit im Haus der Parsons als auf dem eigenen Herrschaftssitz Castle Ward bei Strangford. Als ihr Leben am 31. August 1869 plötzlich und gewaltsam endete, war Mary Ward gerade einmal 42 Jahre alt. Ihr Tod machte über die Grenzen Irlands hinaus Schlagzeilen, weil er so ungewöhnlich war. Bis heute unvergessen blieb Mary Ward nämlich nicht wegen ihrer Bücher, sondern aus einem anderen, makabren Grund: Sie gilt als das erste namentlich bekannte Verkehrsopfer durch einen Motorwagen.
Ihr Cousin William Parsons hatte sich das Vehikel nach selbst entworfenen Plänen bauen lassen, wahrscheinlich unter fleißiger Beteiligung seiner jüngsten Söhne Charles Algernon (zum Zeitpunkt des Unfalls 15 Jahre jung) und Richard Clere (18 Jahre). Beide sollten später Ingenieure werden, Richard als Eisenbahnbauer in Südamerika und Charles als Entwickler neuer Technologien: Berühmt ist er bis heute für die Entwicklung der Dampfturbine – der direkte Vorläufer der Antriebe, die bis heute in Schiffen und Flugzeugen zum Einsatz kommen. Mit seinem spektakulären Schnellboot »Turbinia« sollte Charles Parsons 28 Jahre später den Schiffsbau regelrecht revolutionieren und so aus dem Schatten des populären, mitunter überlebensgroß erscheinenden Vaters treten. 1869 aber war das Schrauben an Dampfmaschinen und die Konstruktion von Motorwagen noch Hobby und Teil seiner Ausbildung.
16 Jahre, bevor Karl Benz seinen ersten Benzinwagen montierte, waren Automobile – zu dieser Zeit natürlich dampfbetrieben – durchaus nichts Neues mehr. Dampfbusse, Schwerlaster und Taxis verkehrten an vielen Orten Großbritanniens und
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