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Der Visionist

Der Visionist

Titel: Der Visionist Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Rose M J
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endlich freigegeben wurde. Der Sicherheitschef und seine Mitarbeiter hatten Hypnos vorsichtig und fast liebevoll in dicke Folien verpackt und ihn zurück ins Museum transportiert.
    Vorher war Olshling noch zu Lucian getreten und hatte versucht, sich bei ihm zu bedanken. „Es war meine Aufgabe, und ich …“
    Die Schuldgefühle und das eigene Versagen standen ihm deutlich ins Gesicht geschrieben. „Sie haben jahrelang das Museum vor jeder möglichen Gefahr geschützt, die ihm von außen drohte“, sagte Lucian. „Jetzt müssen Sie sich darauf konzentrieren, wie Sie das Museum schützen können, wenn die Gefahr von innen kommt.“
    Olshling schüttelte den Kopf. Er konnte Lucian nicht in die Augen sehen. „Ich hätte merken müssen, dass etwas im Busch war.“
    „Man merkt eben nicht alles.“
    Trotz der Ereignisse der gestrigen Nacht wollte Lucian dem Museum auch die Kugel wieder zurückgeben. Es war kein Zufall, dass er sie genau an der Stelle gefunden hatte, die Pythagoras für den Sitz des Dritten Auges hielt. Der Gott des Schlafes hatte das mystische Objekt seit 2600 Jahren beschützt – offenbar wusste er, wie man Geheimnisse bewahrt. Lucian würde ihm sein Drittes Auge wieder zurückgeben, doch eine kleine Weile würde der Gott noch darauf warten müssen.

72. KAPITEL
    Um zwölf Uhr Mittags rief Emeline an. Lucian erkannte ihre Nummer und ließ den Anrufbeantworter anspringen. Um zwei rief sie wieder an. Auch diesen Anruf nahm Lucian nicht an. Gegen fünf setzte er sich an den Schreibtisch und spielte die Nachrichten ab, die sie für ihn hinterlassen hatte.
    „Lucian? Die Polizei war gerade hier“, sagte sie. „Du hast anscheinend meinen Personenschutz abziehen lassen. Ich habe versucht, Chief Broderick zu erreichen, aber er ist nicht in seinem Büro. Wurde der Kerl denn gefasst, der mich bedroht hat?“
    Sie klang aufgeregt und fröhlich. Was für eine großartige Schauspielerin! dachte Lucian.
    Beim zweiten Anruf klang sie schon besorgter. „Lucian, ist alles in Ordnung mit dir? Gestern Abend im Museum, das war so furchtbar. Ich stelle mir die ganze Zeit vor, was passiert wäre, wenn du nicht da gewesen wärst. Ich weiß, du hast viel zu tun, aber wenn du kurz einen Moment hast, ruf mich an, okay?“
    In der Büroküche des FBI stand immer heißer Kaffee bereit, doch so spät am Nachmittag war das Gebräu bitter und dickflüssig. Lucian schenkte sich trotzdem einen Pappbecher voll ein und nahm ihn mit in sein Büro. Er las ein paar E-Mails und nippte an dem furchtbaren Kaffee, ohne etwas zu schmecken. Zwanzig nach fünf schaltete er den Computer aus und ging. Er war völlig erledigt.
    Dann saß er in seinem Wagen und wusste nicht, wohin er fahren sollte. Emelines Stimme ging ihm nicht aus dem Kopf. Sie hatte ihm nur Lügen erzählt, und er hatte ihr alles geglaubt. Schlimmer noch, er hatte an sie geglaubt. Wegen ihr hatte er zum ersten Mal in seiner Karriere die abschließende Festnahme am Ende eines Falls an einen Kollegen abgegeben.
    Es herrschte starker Verkehr, und Lucian brauchte fast vierzigMinuten, bis er die Ecke Madison Avenue und 83. Straße erreichte. Er stellte den Wagen im Halteverbot ab, blieb darin sitzen und starrte auf den Laden. Seit zwanzig Jahren hatte er diesen Ort gemieden, er war Umwege gefahren, um nicht hier vorbeizukommen. Sogar in den letzten Wochen hatte er Emeline nur einmal hier abgesetzt, aber er hatte den Laden nicht betreten. Der Rahmenladen war der einzige Geist, der ihm geblieben war.
    Sie lächelte ihn glücklich an, als er hereinkam, und schien erleichtert, dass die Polizei ihren Stalker geschnappt hatte.
    „Wir haben ihn nicht geschnappt“, erklärte Lucian ihr.
    „Warum hast du dann Broderick gesagt, ich bräuchte keinen Personenschutz mehr?“ Sie runzelte die Stirn und war sichtlich verwirrt.
    „Gestern haben wir einen Kunsthändler verhaftet, der gestohlene Kunst angekauft und verkauft hatte. Er hat uns, ohne dass wir ihn groß dazu drängen mussten, sehr schnell die Namen seiner Komplizen verraten. Einer hatte einen gestohlenen Van Gogh für ihn beschafft, ein anderer hatte ihm einen Matisse besorgt, ein Landschaftsgemälde. Blick auf St. Tropez . Der Name des Komplizen war Andre Jacobs.“
    Lucian brach ab und wartete. Er hoffte, dass Emeline protestieren würde, dass sie mit ihm Streit anfangen und ihm irgendeine Erklärung auftischen würde. Oder dass sie ihn empört angriff, ihn beleidigte, ungläubig, dass er solche Anschuldigungen gegen ihren

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