Der Vogelmann
schnell herum, kam auf die Knie und rammte ihr die Ellbogen in den Bauch. Ein zweiter Schlag traf sie seitlich am Gesicht, und ein dünner Blutstrahl schoß aus ihrer Nase. Ihr Gesicht verzog sich, sie wurde bewußtlos.
Caffery blieb vor Susan Listers Haus stehen. Die Vorhänge waren geschlossen, und am Gartentor hing ein in Plastikfolie gehüllter Zettel, auf dem durch die eingedrungene Nässe an manchen Stellen die Schrift verschmiert war.
An die Presse:
Mein Bruder und seine Frau machen eine sehr schwierige Zeit durch. Bitte respektieren Sie die Privatsphäre unserer Familie, und machen Sie alles nicht noch schlimmer, indem Sie uns mit Fragen belästigen. Wir haben alles gesagt, was wir sagen wollen.
Danke.
T. Lister
Er steckte seine Wagenschlüssel in die Tasche, ging um die Ecke und stand im Eingang des Trödelladens; eine Hand hatte er auf den Türrahmen gelegt, mit der anderen drückte er auf den Klingelknopf.
»Ja?« rief sie in die Sprechanlage. »Wer ist da?«
»Detective Caffery. Hätten Sie vielleicht ein paar Minuten Zeit?« Er wartete einen Moment. Sie antwortete nicht, also beugte er sich wieder vor. »Ich sagte, hier ist Jack Caffery.«
»Ja, das habe ich gehört. Ich komme gleich runter.«
Sie brauchte lange, bis sie zur Tür kam. Unruhig wartete er auf der Türschwelle und wollte erneut klingeln, als er Schritte auf der Treppe hörte und der Riegel zurückgeschoben wurde.
Sie war barfuß und trug ein kurzes, fließendes Kleid in der Farbe einer Tulpe.
»Kann ich reinkommen?«
Sie antwortete nicht.
»Rebecca?«
»Ja«, seufzte sie. »Dann kommen Sie.« Sie trat in den Flur zurück, ließ ihn eintreten, schloß die Tür, verriegelte sie und deutete mit der Hand zur Treppe. »Ich habe gerade Fitou geholt. Vielleicht möchten Sie auch ein Glas?«
Es war kühl in der Wohnung. Die Jalousien waren halb geschlossen, und eine Fliege umrundete träge die Pinsel in einem Glasbecher. »Setzen Sie sich, ich werde den Wein holen. Tut mir leid, es ist ein bißchen unordentlich.« Sie ging in die Küche. Caffery schlenderte im Atelier umher und sah auf die Stapel von Gemälden und Skizzen, die im Raum verstreut lagen. Das halbfertige Bild von Joni stand immer noch auf der Staffelei. Ihr Haar war so blond, daß es fast albinohaft wirkte.
»Ist Joni nicht zu Hause?« rief er.
»Sie ist noch im Pub.«
»Wann glauben Sie, daß sie zurückkommt?« Er konnte Jonis abgestandenes Deodorant riechen.
»Wen wollten Sie eigentlich besuchen, Detective? Mich oder Joni?«
»Sie natürlich.«
Aus der Küche ertönte ein höhnisches Lachen. »Ja, natürlich.«
»Ja, natürlich«, murmelte er leise und schlenderte in den Gang zurück. Das Badezimmer befand sich gegenüber, daneben die Treppe zu Jonis Zimmer. Die Küchentür zu seiner Rechten war geschlossen, und dahinter konnte er Rebecca hören, die Gläser abwusch. Er ging ins Badezimmer und verschloß die Tür hinter sich.
Es war warm dort drinnen, die Farben erinnerten an die schwülen tropischen Farben von Ferienprospekten: fuchsiarote Handtücher und aquamarinfarbene Wände. Schwarze
Strümpfe lagen eingeweicht in einem Kübel in der Badewanne, und die Badematte war mit Abdrücken von talkumgepuderten Füßen überzogen. Er drehte den Hahn voll auf, öffnete das Medizinschränkchen und fand sofort, wonach er gesucht hatte. Schnell zog er ein Zigarettenpapierchen aus seiner Tasche, faltete es auf und wickelte es um die Borsten einer roten Gummihaarbürste. Als er es wieder abzog, blieben vier oder fünf silbrige Haare daran hängen. Er steckte das Papierchen in einen kleinen Pappkarton, drehte den Hahn wieder zu und ging ins Atelier zurück.
Rebecca reichte ihm ein Glas, ohne etwas zu sagen. Sie wandte sich ab, hob einen Stapel Zeichnungen vom Boden auf und legte sie auf den Tisch.
»Rebecca?«
»Ja?« Sie drehte sich nicht zu ihm um.
»Haben Sie meine Nachricht bekommen? Haben Sie gehört, was ich auf den Anrufbeantworter gesprochen habe?«
Zuerst antwortete sie nicht. Sie tat so, als ob sie mit dem Aufteilen des Stapels in kleinere Stöße beschäftigt wäre. Dann legte sie plötzlich die Zeichnungen weg. Ihre Schultern sanken nach unten, und sie beugte sich zum Tisch vor. »Ja«, murmelte sie und schüttelte den Kopf. »Ja, tut mit leid. Es steht ja auch in allen Zeitungen. Es heißt, nun, es wird angedeutet, daß die Frau in der Malpens Street …« Sie machte eine unbestimmte Handbewegung, mit der sie die Sache zu verharmlosen versuchte.
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