Der Vogelmann
daß Joni die Manie hatte, etwas zu reparieren, was nicht kaputt war, und einen so starken Drang nach Veränderung besaß.
Er zwang sich zu einem Lächeln. »Einen Drink, Joni?«
»Hm, ja.« Sie sah auf ihre Fingernägel und schob die Unterlippe vor. Joni hatte eine Art, sich wie ein Kind zu benehmen. Die hatte sie all die Jahre, die er sie kannte, nicht abgelegt. Es war nicht mehr reizvoll, das sollte er ihr sagen. Ihr sagen, daß
es den Reiz verloren hatte, ihr sagen, daß es ihn mehr anwiderte, als er auszudrücken vermochte. »Ich nehm’ ein Glas Wein.«
An der Bar wartete die Künstlerin, bis sie bedient wurde, und hielt den Kopf zurückgeworfen wie ein Pferd am kurzen Zügel. Zu vornehm für diesen Ort. Höflich lächelnd näherte er sich ihr und dachte an ihre Klitoris. »Guten Tag.«
Sie sah ihn auf seltsame Weise an. »Guten Tag«, erwiderte sie, nahm die beiden Gläser und wandte sich ab. Bliss lächelte. Miststück. Er nahm seinen Drink von dem Wesen hinter der Bar entgegen und wischte sorgfältig die Stellen von Jonis Glas ab, an denen es berührt worden war.
Joni beachtete ihn nicht, als er ihren Drink abstellte, aber das machte ihm nichts aus. Daran hatte er sich gewöhnt.
»Geht’s euch gut, Mädels?« fragte er höflich. Vor Aufregung hatte sich sein Mund mit Speichel gefüllt, und er mußte achtgeben, beim Sprechen nicht zu spucken. »Die Welt meint’s gut mit euch, nicht wahr?«
»Nein, das tut sie nicht .« Joni zog einen Flunsch. »Irgendeine Frau ist gleich bei uns um die Ecke überfallen worden.«
»Ach Gott.« Bliss trank sein Bier. »Weiß man schon, wer es war?«
»Nein.« Sie warf ihm einen bösartigen Blick zu, hängte sich ungeduldig ihre Tasche über die Schulter, stürzte beide Drinks hinunter und ging, den blonden Kopf zurückwerfend, zur Treppe.
Bliss und ›Die Klitoris‹ blieben schweigend sitzen. Sie trank ruhig ihr Bier, während sich eine leichte Röte über ihrem Gesicht ausbreitete. Er brach das Schweigen eine Weile nicht, bevor er das Wort ergriff.
»Nun, ich muß sagen, ich habe Joni noch nie so außer sich gesehen.«
›Die Klitoris‹ nickte. »Sie macht sich Sorgen.« Sie redete mit ihrem Glas, nicht mit ihm, wie die meisten Leute. »Sie sagt, sie denkt daran, aus Greenwich wegzuziehen. Sie will fort.«
Bliss spürte, wie jeder Zentimeter seiner Haut zu prickeln
begann. Er wartete, bis die Spannung in seinem Bauch und seinem Schwanz nachließ, bevor er sprach. »Tatsächlich?« sagte er und ließ den Blick die Treppe hinaufwandern. »Ich möchte wissen, wo sie hingehen will.«
46. KAPITEL
W ieder in Shrivemoor, konnte Caffery sich nicht entspannen. Er wanderte im Besprechungsraum umher, drehte Papiere um, starrte an die Pinwand, stand hinter den Datenverarbeiterinnen und sah über ihre Schultern auf die Bildschirme, bis Marilyn sich beschwerte, daß er sie nervös mache. Er ging ins Büro des Senior Investigation Officers und rief Jane Amedure an.
»Haben Sie irgendwas über den Zement herausgefungen?«
»Das Diffraktogramm ist nach Maryland abgeschickt worden. Morgen früh könnten wir es wissen.«
Dann zog er das persönliche Fax heraus, das Bliss letzte Woche aus dem St. Dunstan geschickt hatte, in der Hoffnung, ihm würde irgend etwas ins Auge fallen, ihn auf etwas stoßen lassen, und als das nicht geschah, blieb er, den Kopf in die Hände gestützt, sitzen, bis es draußen dunkel wurde, die Büros fast leer waren und Maddox, der schon sein Jackett angezogen und die Aktentasche in der Hand hatte, zu ihm hereinsah:
»Das ist zwar sehr nobel, aber ein bißchen Vernunft könnte auch nicht schaden. Ich weiß, daß ich heute morgen die Peitsche geschwungen habe, aber ich wollte ja nicht, daß ihr euch gleich umbringt.«
»Ja. Schon gut, schon gut.«
»Sie brauchen etwas Schlaf, verstanden?«
»Ja.«
Er rief erneut Dr. Amedure an.
»Lassen Sie ihnen ein bißchen Luft, Detective Caffery. Ich verspreche Ihnen, ich rufe Sie gleich morgen früh an. Wir machen unseren Laden jetzt dicht.«
Also saß er in den verlassenen Büros, in dem leeren, ruhigen Gebäude, blies den Zigarettenrauch aus dem Fenster und beobachtete, wie alle am Ende eines langen Tages nach Hause gingen. Die blasse Sonne versank hinter hübschen Häusern, und auf der Reklametafel gegenüber wurde ein neues Plakat aufgeklebt. Er hatte es so eilig gehabt, Cook zu verdächtigen, so sicher war er sich seines Instinkts gewesen, und die Feststellung, daß er sich getäuscht hatte, lastete
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