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Der Vogelmann

Der Vogelmann

Titel: Der Vogelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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mir verschrieben worden. Bevor sie verboten worden sind.« Er hielt die Innenseite seines linken Ellbogens fest und schob sich an ihnen vorbei ins Wohnzimmer. Caffery folgte ihm leise fluchend.
    »Wir müssen mit Ihnen reden. Das können wir nicht, wenn Sie bis über die Ohren zugedröhnt sind.«
    »Wenn ich bedröhnt bin, ham Sie mehr von mir. Dann bin ich klarer.«
    »Klarer«, murmelte Essex und schüttelte den Kopf.
    Harrison ließ sich aufs Sofa fallen, zog die Knie hoch und schlang mit einer seltsam mädchenhaften Bewegung die Arme um die Waden. »Die meiste Zeit, die ich mit Shellene verbracht hab’, war ich bekifft.« Er neigte den Kopf zurück. Einen entsetzlichen Moment lang dachte Caffery, er würde in Tränen ausbrechen. Statt dessen spannte er die Lippen und sagte: »Also gut. Sagen Sie’s mir. Wo war sie?«

    »Im Südosten.«
    »Greenwich?«
    Caffery sah auf. »Ja. Woher wußten Sie das?«
    Harrison ließ die Arme sinken und schüttelte den Kopf. »Sie hat sich immer da rumgetrieben. Hat da unten die meisten Auftritte gehabt. Und wann? Wann ist es passiert?«
    »Wir haben Sie gestern früh gefunden.«
    »Ja, aber wissen Sie …« Er hustete. »Wann ist sie …?«
    »Etwa um die Zeit, als Sie sie das letzte Mal gesehen haben.«
    »Mist.« Harrison seufzte. Er zündete sich eine weitere Zigarette an, zog daran, ließ den Kopf nach hinten sinken und blies den Rauch zur Decke. »Also machen Sie weiter, bringen wir’s hinter uns. Was wollen Sie wissen?«
    Caffery setzte sich aufs Sofa und zog sein Notizbuch aus dem Jackett. »Das ist eine Aussage, klar, also sagen Sie mir jetzt, ob Sie zu bedröhnt dafür sind.« Als Harrison nicht antwortete, nickte Caffery. »Gut, ich verstehe das als Aufforderung fortzufahren. Detective Sergeant Essex hier ist für die Familienbetreuung zuständig, er ist derjenige, an den Sie sich wenden, wenn Sie uns etwas zu sagen haben. Er wird bei Ihnen bleiben, wenn ich gegangen bin, er wird die Aussage mit Ihnen durchgehen und Sie bitten, uns bei der Kontaktaufnahme mit Shellenes Familie zu helfen. Wir wollen alle Einzelheiten, bis sie uns zu den Ohren rauskommen; was sie angehabt hat, welches Make-up sie benutzt hat, welche Unterwäsche sie trug, ob sie die ›Eastenders‹ oder ›Coronation Street‹ lieber mochte.« Er hielt inne. »Und ich schätze, daß es vergeudete Zeit wäre, wenn er Sie zu überreden versuchte, einen Drogenberater aufzusuchen? Wenn er Sie davon abhielte, ihre Venen zu ruinieren?«
    Harrison legte den Kopf in die Hände. »Jesus.«
    »Das dachte ich mir.« Er seufzte. »Also, wissen Sie, wo Shellene in der Nacht hinging?«
    »In einen ihrer Pubs. Sie hatte einen Auftritt.«
    »Name?«
    »Keine Ahnung. Fragen Sie ihre Agentur.«

    »Die heißt?«
    »Little Darlings.«
    »Little Darlings?«
    »Kein besonders passender Name, das können Sie mir glauben. Sie ist in Earl’s Court.«
    »Also gut. Und irgendwelche anderen Namen? Irgend jemand, mit dem sie sich getroffen hat?«
    »Ja.« Harrison streckte die Silk Cut zwischen die Zähne. »Da gab es Julie Darling, die Agentin.« Er zählte die Namen an den Fingern ab. »Und die Mädchen: Pussy, komisch, daß immer eine Pussy darunter ist, nicht? und Treasure und Tracey oder Lacey oder sonstwas, Petra und Betty, und das …« Plötzlich ärgerlich geworden, klatschte er die Hände auf die Knie. »… das macht sechs, und das is’ tatsächlich alles, was ich über Shellenes Leben weiß, und Sie sagen mir, Sie sind überrascht, daß ich sie nicht als vermißt gemeldet hab’, als wüßte ich was, ihr Haufen verdammter Wichser …«
    »Schon gut, schon gut. Nur die Ruhe.«
    »Ja, ja, ja.« Er war gereizt. »Ich bin ganz ruhig. Verdammt ruhig.« Er wandte sich ab und starrte aus dem Fenster. Alle schwiegen einen Moment. Harrison sah auf die Dächer der Mile End Road, auf die grünlichen Kuppeln von Spiegelhalters Einkaufszentrum, die hoch ins Blau hinaufragten. Eine Taube landete auf dem Balkon, Harrison zuckte mit den Schultern, seufzte und wandte sich Caffery zu.
    »Okay.«
    »Was?«
    »Sie sagen’s mir jetzt lieber.«
    »Sage Ihnen was?«
    »Sie wissen schon. Hat der Mistkerl sie vergewaltigt?«
     
    Die Sonne hatte Caffery in bessere Laune versetzt, als er in der Mackelson Mews in Earl’s Court ankam. Die Agentur zu finden war leicht: LITTLE DARLINGS stand in abblätternden Goldlettern an der Tür.

    Julie Darling war eine kleine Frau Mitte Vierzig, ihr glänzendes schwarzgefärbtes Haar trug sie zu

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