Der Vogelmann
streckte die Hand aus, aber sie ergriff sie nicht.
»Werden Sie mir mehr sagen, wenn Sie können?« Sie wirkte sehr blaß unter ihrem blauschwarzen Pagenkopf. »Ich würde gern wissen, was mit der armen kleinen Petra geschehen ist.«
»Sobald wir es selbst wissen«, antwortete Caffery. »Sobald wir es wissen.«
6. KAPITEL
D as AMIP stützt sich hauptsächlich auf das große Datenermittlungssystem des Innenministeriums, die zur Gegenprüfung dienende Datenbank, die unter dem Initialwort HOLMES bekannt ist, und die Schlüsselfigur in jedem Team ist der HOLMES-»Empfänger«, der Beamte, der die Daten sammelt, auswählt und interpretiert. In Shrivemoor war diese Person Marilyn Kryotos.
Caffery hatte Marilyn gleich gemocht; sie war geradeheraus und ruhig und erzählte mit ihrer tiefen, eigenartigen Stimme von ihren Kindern und Haustieren, deren Krankheiten, kleinen Triumphen und aufgeschlagenen Knien. Mit einem Mord schien die Übermutter Marilyn Kryotos auf die gleiche resignierte Weise umzugehen wie mit einer schmutzigen Windel; als handle es sich um ein etwas unangenehmes, aber zu behebendes Alltagsproblem. Es freute ihn, daß ihr bevorzugter Mitarbeiter im Team Paul Essex war; als bestätigte diese Freundschaft Cafferys eigenes Urteil über die beiden.
Er traf sie am Abend, als er mit seinen Notizen nach Shrivemoor zurückkam. Sie brachte gerade Ermittlungsakten aus dem Büro des Senior Investigation Officers in den Einsatzbesprechungsraum, und er wußte sofort, daß sie etwas verägert hatte.
»Hallo, Marilyn.« Er beugte sich zu ihr. »Was ist los? Die Kinder?«
»Nein«, zischte sie. »Es ist das verdammte F-Team. Sie schneien hier rein und treiben mich in den Wahnsinn. Mal wollen sie dies, mal wollen sie jenes. Als Neuestes verlangen sie auch noch ein eigenes Büro, als wären sie was Besseres.« Sie
strich sich das dunkle Haar aus dem Gesicht. »Der Chief Superintendent hat die Hosen voll wegen dieses Falls, und wir haben darunter zu leiden. Ich meine, jetzt sehen Sie sich mal die Räume hier an, Jack, sie reichen nicht mal für ein Ermittlungsteam, geschweige denn für zwei.«
Caffery verstand, was sie meinte, und als er seine Notizen zu den Sachbearbeitern brachte, mußte er sich an unbekannten Gesichtern vorbeidrängen. Die Beamten des F-Teams trugen alle frisch gebügelte Hemden und Krawatten, von denen viele so aussahen, als wären sie gerade aus den Wäschereitüten gezogen worden. Der Stolz auf ihre makellose Kleidung würde ihnen nach einer Woche mit Fünfzehnstundenschichten schon noch vergehen, das stand fest.
»’tschuldigung, Kollege.« Jemand hielt ihn am Arm fest. Es war ein Mann mit scharfen Zügen, ein wenig kleiner als Caffery, gebräunt, mit blaßblauen Augen und schmaler, gerader Nase. Sein blondes Haar war mit massenweise Gel wie ein glänzender Helm an seinen Kopf geklatscht. Er trug einen steifen, flaschengrünen Anzug und hatte zwei weitere in Reinigungssäcken über die Schulter gehängt. »Wissen Sie, wo ich die aufhängen kann?«
Caffery fand Maddox im Büro des Senior Investigation Officers, wo er Überstundenformulare unterschrieb. Er warf die Wagenschlüssel auf den Schreibtisch.
»Das Dog and Bell.«
»Wie bitte?«
»Das Dog and Bell. Es ist ein Pub in East Greenwich.«
Maddox lehnte sich in seinem Stuhl zurück und sah ihn eindringlich an. »Nun?« Er öffnete die Hände. »Was meinen Sie?«
»Eine Befragung. Ich würde mir gern die Stammgäste ansehen, die irgendeine Verbindung zur Medizin haben.«
»Das bringt die Presse auf den Plan. Sie werden sich nicht an das Stillhalteabkommen halten, wenn wir in der Öffentlichkeit das Maul aufreißen. Ich werd’s dem Chief Superintendent vortragen.
« Er schüttelte langsam den Kopf. »Ich glaube nicht, daß er uns das bewilligt. Noch nicht. Sie müssen doch noch andere Spuren haben?«
»Ich habe Namen. Möglicherweise die Identität von Opfer Nummer drei.«
»Gut, übergeben Sie Marilyn das Material, damit sie es aufteilt. Was ist die vielversprechendste Spur?«
»Joni Marsh. Sie hat an dem Tag im Dog and Bell gearbeitet, als Craw verschwand.«
»Gut. Sie übernehmen das morgen. Aber nehmen Sie um Himmels willen noch jemanden mit. Sie wissen, wie diese Frauen sein können.« Es klopfte an der Tür. Maddox seufzte. »Ja? Was gibt’s? Kommen Sie rein, Mr. Diamond. Kommen Sie rein.«
Der blonde Detective trat ein und schüttelte die Anzugärmel herunter, so daß sie über die Manschetten fielen. »Guten Abend,
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