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Der Vogelmann

Der Vogelmann

Titel: Der Vogelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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uns. Kommen Sie rein, kommen Sie.«

    Harrisons Wohnzimmer war klein und schmuddelig, auf einer Seite befand sich ein Balkon und auf der anderen eine Küche, die mit ein paar staubigen Topfpflanzen und mit Schachteln von Kentucky Fried Chicken vollgestopft war. Auf dem staubigen Boden lagen Zigarettenpapiere und Tabak verstreut.
    Caffery setzte sich ungefragt auf einen blauen Plastikstuhl in der Nähe des Fensters und verschränkte die Arme.
    »Wann haben Sie Shellene zum letzten Mal gesehen, Mr. Harrison?«
    »Weiß nicht. Vor ein paar Wochen.«
    »Geht’s etwas genauer?«
    »Wo is’ sie denn jetzt wieder reingeraten?«
    »Ein paar Wochen; heißt das eine Woche oder einen Monat?«
    »Kann mich nicht erinnern.« Harrison streifte sich ein T-Shirt über und zog eine Schachtel Zigaretten aus den Jeans. Er steckte sich eine Silk Cut zwischen die Zähne und hob ein Feuerzeug vom Boden auf. »Es war nach meinem Geburtstag.«
    »Der ist wann?«
    »Am 10. Mai.«
    »Sie hat hier gewohnt, nicht wahr?«
    »Sie sind verdammt schlau.«
    »Was ist passiert?«
    »Keine Ahnung. Sie is’ abgehauen. Eines Nachts losgezogen und nicht mehr zurückgekommen.« Er spannte die Hände an, klatschte die Handflächen aufeinander und ließ dann seine Hand in Richtung Fenster schnellen. »Aber so is’ Shellene eben. Hat die Hälfte von ihrem Krempel im Schlafzimmer zurückgelassen.«
    »Haben Sie die Sachen noch?«
    »Nein, ich war so stinksauer, wissen Sie, daß ich sie weggeschmissen hab’, ihre Stripperausrüstung und das ganze Zeug.«
    »Sie war Stripperin?«
    »An guten Tagen. Aber Shellene steht immer mit einem Bein aufm Strich. Sie ham sie wohl geschnappt, als sie am Portland Place Araber gefickt hat, oder?«

    »Haben Sie sie als vermißt gemeldet?«
    Harrison schnalzte sarkastisch mit der Zunge. »Vermißt? Was soll ich vermissen? Ein Gewissen?«
    »Sie hat ihre Sachen hier zurückgelassen, hat Sie das nicht gewundert?«
    »Warum denn? Als sie hier eingezogen ist, hat sie bloß ihr Make-up, einen Ghetto-Blaster und ein paar Spritzen mitgebracht.«
    »Haben Sie sich gefragt, ob ihr was passiert sein könnte?«
    »Nein.« Er schüttelte den Kopf. »Nein. Mit uns beiden war’s ohnehin fast aus. Ich hab’ mich nicht groß gewundert, daß sie damals in der Nacht nicht heimgekommen is’…« Seine Stimme brach ab. Er sah von Essex zu Caffery und dann wieder zurück. »Hey«, sagte er, plötzlich nervös geworden. »Worauf woll’n Sie raus?« Als keiner von beiden antwortete, schien Harrison etwas zu dämmern. Eilig zündete er sich die Zigarette an und inhalierte tief. »Es wird mir nicht gefallen, was ich zu hören krieg’, stimmt’s? Also los. Besser, Sie sagen’s gleich. Was is’ mit ihr? Is’ sie tot oder so was?«
    »Ja.«
    »Ja was?«
    »Tot.«
    »Gott.« Er wurde kreidebleich und ließ sich aufs Sofa sinken. »Ich hätt’s wissen müssen. Ich hätt’s gleich wissen müssen, wie ich Sie gesehen hab’. Eine verdammte Überdosis.«
    »Vermutlich keine Überdosis. Vermutlich haben wir’s mit Mord zu tun.«
    Harrison starrte Caffery an, ohne mit der Wimper zu zucken. Und dann legte er die Hände über die Ohren, als könnte er sich vor den Worten schützen. Auf seinen weißen Unterarmen waren blasse rosafarbene Nadeleinstiche zu sehen.
    »Jesus …«, preßte er heraus. »Jesus, ich kann es nicht …« Mit Tränen in den Augen nahm er einen tiefen Zug aus der Silk Cut. »Warten Sie hier«, sagte er plötzlich, sprang auf und verschwand in den Flur.

    Caffery und Essex sahen sich einen Moment an. Sie konnten hören, wie er im Schlafzimmer herumging und Schubladen aufriß. Essex ergriff als erster das Wort.
    »Er hat’s nicht gewußt, stimmt’s?«
    »Nein.«
    Sie schwiegen einen Augenblick. Im Stockwerk darunter war jemand aufgewacht und ließ die Stereoanlage losdonnern. Trance, Zeug, das Caffery tausendmal in Clubs gehört hatte, als er für das CID Vernehmungen durchführte. Er setzte sich auf. »Was zum Teufel macht er da drinnen?«
    »Ich weiß nicht«, sagte Essex unbestimmt. »Mein Gott, Sie glauben doch nicht …?«
    »Mist.« Caffery sprang auf und schlug mit der flachen Hand gegen die Schlafzimmertür. »Sie werden sich doch jetzt keinen Schuß setzen, Barry«, schrie er. »Können Sie mich hören? Verdammt noch mal, tun Sie das nicht. Ich werde Sie festnehmen deswegen.«
    Die Tür ging auf und Harrisons Gesicht tauchte auf, völlig reglos. »Sie könnten mich wegen der Tabletten nicht drankriegen. Die sind

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