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Der Vogelmann

Der Vogelmann

Titel: Der Vogelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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auf dem Bügelbrett lagen.
    Veronica.
    In seiner Müdigkeit hatte er ihren Wagen draußen nicht bemerkt.
    Sei gut zu ihr, Jack. Sie ist krank. Vergiß das nicht, sei nett.
    In der Küche warf er sein Jackett auf den Stuhl, nahm eine Rolle Plastikfolie und wickelte jede Puppe einzeln ein, um sie anschließend in Ewans Zimmer aufzubewahren. Der Le Creuset stand auf dem Herd, und aus dem Wohnzimmer drang Gershwins Rhapsody in Blue, deren Klänge sich mit den guten Kochdüften von Ingwer und Koriander vermischten. Er nahm ein Glas und den Glenmorangie vom Regal und goß sich einen ordentlichen Schluck ein. Sein Körper schmerzte vor Müdigkeit. Er wollte Ruhe, seinen Whisky, ein Bad und dann ins Bett. Nichts weiter. Auf keinen Fall wollte er Veronica.
    »Jack?«
    »Ja, hallo«, rief er matt in den Gang hinaus.
    »Ich hab’ mich selbst reingelassen. Ich hoffe, es macht dir nichts aus.«
    Und wenn doch, was würde es helfen?

    In Ewans Zimmer. Warum zog es sie immer in dieses Zimmer? Er nahm die Puppen und den Whisky und stieg langsam die Treppe hinauf.
    Sie saß in der Mitte auf dem Boden und trug ein maßgeschneidertes marineblaues Kostüm mit gestärkten Manschetten und goldenen Manschettenknöpfen. Sie hatte die Schuhe abgestreift, und durch ihre hautfarbene Strumpfhose konnte er die blassen Monde ihrer Zehnägel sehen. Um sie verstreut lag der Inhalt der gesamten Karteikästen, die er über Penderecki angelegt hatte.
    »Veronica ?«
    »Was?«
    »Was machst du da?«
    »Ich ordne deine Unterlagen. Ich dachte, bei der Party haben die Leute vielleicht Lust, sich das Haus anzusehen, also ordne ich deine Akten und Karteikästen für dich.«
    »Bitte, tu das nicht.« Er stellte den Whisky und die eingewickelten Puppen auf den Schreibtisch und begann, verschiedene Dinge aufzuheben. »Laß das doch.«
    Veronica starrte ihn an. »Ich wollte doch bloß helfen…«
    »Ich habe dich gebeten, hier nicht reinzugehen.« Er drehte sich um. »Ich sag’s noch einmal; geh hier nicht rein. Und rühr die Akten nicht an.«
    Ihre Stirn runzelte sich, ihr Mund schob sich ein wenig vor. »Tut mir leid. Hier, laß mich das zurücklegen …«
    »Nein.« Er stieß sie zur Seite. »Laß – sie – einfach liegen – !«
    Veronica zuckte zurück, und er hielt inne. Du schreist, Jack. Schrei sie nicht an.
    »Hör zu.« Er holte tief Luft. »Es tut mir leid – wirklich – Veronica …«
    Zu spät. Ihr Gesicht verzog sich bereits, ihre Stirn zuckte, ihr Mund bewegte sich von einer Seite auf die andere. Sie stand auf, und Tränen quollen aus ihren Augen.
    »O Gott …« Er schloß die Augen und zwang sich, sich zu ihr zu beugen und ihr über ihre zitternden Schultern zu streichen.
»Veronica, es tut mir leid, es tut mir leid, es war ein schlimmer Tag.«
    »Es ist der Krebs, nicht wahr? Du willst mich verlassen, weil ich krank bin?«
    »Natürlich will ich dich nicht verlassen. Ich gehe nirgendwohin.« Er zog sie an sich und legte sein Kinn auf ihren Kopf. »Hör zu, ich hab’ eine Menge Überstunden angesammelt. Wenn du willst, kann ich mir freinehmen, mit dir zur Chemotherapie gehen.«
    »Du hast dir freigenommen?« Sie hörte auf zu schniefen und sah zu ihm auf.
    »Ich möchte bei dir sein.«
    »Wirklich?«
    »Ja, wirklich. Jetzt komm, setz dich.« Er drückte seine Hand auf ihre Schulter, und gemeinsam setzten sie sich, mit dem Rücken an die Wand gelehnt, auf den Boden. »Ich will davon nichts mehr hören, in Ordnung?« Er verschränkte seine Finger mit den ihren. »Ich habe keine Angst vor dem Krebs.«
    »Es tut mir leid, Jack.« Sie wischte sich mit dem Handrücken über die Augen. »Es tut mir leid, daß mir das passiert ist. Ich wünschte, ich könnte es ändern, wirklich.«
    »Es ist nicht deine Schuld.« Er vergrub seinen Kopf in ihrem Haar. »Also, vergiß nicht«, er räusperte sich, »vergiß nicht, daß wir das gemeinsam durchstehen.«
    »Das werde ich nicht vergessen.«
    Schweigend saßen sie zusammen und beobachteten die pilzbraunen Motten, die, aus dem Dunkel kommend, leise gegen die Scheiben prallten. Er führte ihre Hand zum Mund, küßte sie leicht und drehte sie um, um ihre Handfläche anzusehen.
    »Geht’s dir gut?«
    »Ja«, murmelte sie.
    Er küßte ihr Haar und sah halb lächelnd auf ihre Hand. »Wie kommt es, daß du diesmal den intrakutanen Test nicht machen mußtest?«
    »Hm?«

    »Denjenigen, von dem du mir erzählt hast. Der letztes Mal gemacht wurde?«
    »Der ist gemacht worden«, sagte sie abwesend.
    Er

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