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Der Vogelmann

Der Vogelmann

Titel: Der Vogelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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ich in dieser Partnerschaft der Witzbold bin und Sie der humorlose Kerl.«
    »Und ich bin stolz darauf.«
    »Ja, und bemitleidenswert.« Er wandte sich wieder dem Bericht zu und nagte an der Innenseite seiner Lippen. »Und Sie haben keine Freunde, vergessen Sie das nicht.« Er hielt inne. »Oh, sehen Sie nur, der Precipitintest.«
    »Precipitintest? Wozu dient der? Um menschliches Blut aufzuspüren?«
    »Ja. Um es von tierischem Blut zu unterscheiden.«
    »Sprechen wir von den Vögeln?«
    »Richtig.« Essex überflog das Blatt, während sich seine Lippen lautlos bewegten. »Er besagt, daß das Gewebe im Luftsack der Vögel menschliches Gewebe war.«
    »Was?« Caffery sah auf.
    »Das steht hier. Menschlich.«
    »Sie wissen, was das heißt?«
    »Nein.«
    »Nun, wie glauben Sie, daß es in die Lungen gekommen ist?«
    »Sie haben es eingeatmet?«

    »Ja. Das heißt …«
    »Das heißt, oh…« Essex begriff plötzlich. »Mist, ja.« Er setzte sich an Kryotos’ Schreibtisch, mit seiner Munterkeit war es vorbei. »Sie meinen, die Vögel waren noch lebendig? Sie sind dort drin gestorben?«
    Caffery nickte. »Überrascht?«
    »Na ja, irgendwie schon. Doch.«
    Sie schwiegen einen Moment und dachten darüber nach. Das Klima im Raum hatte sich verändert, ganz so, als wäre die Temperatur um ein oder zwei Grad gefallen. Caffery stand auf, trank sein Bier aus und deutete auf den Bericht. »Lesen Sie weiter. Lesen Sie weiter.«
    »Ja, gut.« Essex räusperte sich und nahm den Bericht wieder auf. »Also, was wollen Sie wissen?«
    »Womit sediert er sie?«
    »Ähm …« Er ließ den Finger über das Papier nach unten gleiten. »Die hämatologische Untersuchung ergibt – oh …«
    »Was?«
    »Ergibt, daß er sie nicht sediert hat.«
    »Was?«
    »Er hat sie nicht sediert.«
    »Unmöglich.«
    »Das steht hier. Nichts außer, außer Alkohol, etwas Kokain, aber nicht genügend, um Schaden anzurichten, keine Phenole, kein Benzedrin, keine Barbiturate, außer bei Wilcox und der jungen Kayleigh. Ähm …« Rasch überflog er die Seite. »Nichts. Außer vielleicht bei unserer anonymen Dame Nummer eins, die bis zum Rand mit Heroin abgefüllt ist. Aber mit Heroin ist es immer eine knifflige Sache; die Toleranzschwelle ist bei jedem anders.«
    »Er muß doch irgendwas benutzt haben.«
    »Nein, Jack. Das hat er nicht. Irgendwelchen Mist haben alle im Leib, aber nichts, was sie bewußtlos gemacht hätte.«
    »Sind Sie sicher?«
    »Jane Amedure ist sich sicher. Das reicht mir.«

    Caffery war aufgebracht. »Womit hat er sie dann so ruhig halten können, um ihnen eine riesenlange Nadel in den Hals zu stechen?«
    »Sie sind keine Zauberer, wissen Sie«, sagte Essex ernst und sah von dem Bericht auf. »Diese Typen, die uns geliebte Menschen entreißen, sind keineswegs besonders schlau. Bei den meisten Fällen, an die ich mich erinnere, habe ich festgestellt, wie wenig schlau sie waren.«
    »Wie wenig schlau?« wiederholte Caffery und sah abwesend auf seinen schwarzen Fingernagel. Er fragte sich, wie wenig schlau der Vogelmann war. Wie wenig schlau Penderecki war. Wie wenig schlau man überhaupt sein mußte.
    »Sie haben nur zufällig Glück gehabt«, sagte Essex.
    »Nein. Beim Vogelmann ist es keine Frage des Glücks. Er kennt sich aus.« Er stand auf und wanderte zu den Fotos hinüber. »Stimmt’s nicht?« Er sah die toten Frauen an, die blicklos von den Wänden starrten. »Also? Wie hat er es getan?«
    »Jack«, sagte Essex von hinten. »Hören Sie sich das an.«
    Die Frauen starrten auf Caffery zurück. Petra: dünne Arme, strahlendes Lächeln, im Trikot; die arme, dumme Michelle Wilcox, die ihre Tochter mit dem wirren Haar umarmte …
    »Jack.«
    … die große, breit lächelnde Shellene und Kayleigh in ihrem rosafarbenen Partykleid, die ein Glas in die Kamera hielt. Was, wenn es mein Baby ist, dort drinnen, mein Baby, mein kleines, kleines Mädchen. Was, wenn sie es ist?
    »Wie macht er es?«
    »Jack!«
    »Was?« Er drehte sich um. »Was gibt’s?«
    »Die Entomologie.« Essex schüttelte den Kopf. »Ich weiß, warum es so aussieht, als würde er sie nicht vergewaltigen. Der Dreckskerl.«
    »Warum?«
    »Wissen Sie, womit wir es hier zu tun haben, Jack?«
    »Nein, womit haben wir’s denn zu tun?«

    »Mit einem Nekrophilen. Einem echten Nekrophilen.« Er klopfte auf den Bericht und reichte ihn Caffery. »Es steht alles hier drin. Schwarz auf weiß.«

17. KAPITEL
    F rühe achtziger Jahre. UMDS. Allgemeine Anatomie 1.1. Gruppe B.
    In

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