Der Vogelmann
dein krankes Hirn mal an, und bemüh dich, an was Nettes, Sauberes und Anständiges zu denken.
Sie wartete, daß ihr das Blut wieder aus Gesicht und Armen wich, und drückte auf den Türöffner, um ihn einzulassen. Kurz darauf stand er, müde und etwas schlecht rasiert, vor ihrer Tür.
»Kommen Sie herein.« Sie hielt die Tür weit auf und beugte sich hinunter, um in einen Schuh zu schlüpfen. »Ich hab’ nicht viel Zeit.« Sie zwängte sich in den zweiten Schuh, folgte ihm in die Küche und schaltete beim Gehen die Wandlampen an. »Ein Glas Pouilly?«
»Ist er schon offen?«
»Der Wein strömt, wenn ich nervös bin.«
»Weswegen?«
»Abgesehen vom Offenkundigen? Dem Millennium-Ripper?«
»Gibt’s noch mehr?«
»Angst vor Gesellschaften im hochgestochenen Kunstmilieu, Horror vor schwarzen Rollkragen, Spitzbärten und endlosen Streitereien über Fluxus versus deutschen Expressionismus, bla-bla-bla. Sie wissen ja, wie das läuft. Irgendwelche Gecken, die zweihundert Pfund zahlen, um sich Farbe ins Gesicht werfen zu lassen, oder was sonst gerade angesagt ist. Wenn ich also schon aus meinem Atelier rauskommen und schlaue Dinge von mir geben muß, werde ich mich verdammt noch mal mit einem Gläschen stärken dürfen.«
Da er nicht lächelte, schwieg sie, holte den Wein aus dem Kühlschrank und stellte ihn auf den Holztisch, wo sich Kondensflüssigkeit um die Flasche sammelte. »Sie sagten, Sie hätten mir etwas mitzuteilen.« Sie stellte sich auf die Zehenspitzen, um im Schrank nach Gläsern zu suchen.
»Gemini ist zur Vernehmung abgeholt worden.«
Rebecca, mit zwei langstieligen Gläsern in der Hand, hielt mitten in der Bewegung inne. »Ich verstehe.«
»Ich dachte, das würde Sie interessieren.«
Sie ließ sich wieder auf die Fersen herab, stand ganz still und starrte den Kühlschrank an. »Wir haben darüber gesprochen.«
»Ich weiß.«
»Was ist schiefgelaufen?«
»Wir haben zu spät darüber gesprochen. Wenn Sie mir von Gemini und Shellene erzählt hätten, als ich beim ersten Mal danach fragte …«
»Geben Sie mir die Schuld?«
»… oder als wir im Leichenschauhaus waren.«
»Also geben Sie mir die Schuld.«
»War nicht die Frau, die Sie in diesem Leichensack gesehen haben, wichtiger als der Drogennachschub Ihrer Freundin? Vielleicht hätte ich Ihnen Petra genauer zeigen sollen. Er hat sie zerschlitzt, wissen Sie. Ihre Brüste abgeschnitten, sie aufgemacht …«
Daraufhin drehte sie sich zu ihm um. Caffery schwieg mit verständnislosem Ausdruck im Gesicht, als könne er nicht fassen, was er gerade gesagt hatte. »Mist. Tut mir leid.«
Rebecca erschauerte. »Ist schon gut.« Sie stellte die Gläser auf den Tisch, goß den Wein ein und reichte ihm ein Glas. Ihre Finger zitterten. »Ich habe früher in diesem Pub gearbeitet. Es hätte mich treffen können. Oder Joni.« Sie sah ihn an. »Das ist doch der Ort, wo er sie aufgabelt, oder?«
»Darüber müssen wir uns unterhalten. Sie und ich.«
»Also ist das der Ort, wo er sie findet.«
»Vermutlich.«
»Er folgt ihnen, wenn sie weggehen?«
»Das wurde vermutet.« Er hob das Weinglas hoch, sah es nachdenklich an und drehte es, um die letzten Sonnenstrahlen einzufangen, die durchs Fenster fielen. »Aber Sie müssen wissen, was ich glaube.«
»Sagen Sie. Was glauben Sie?«
»Ich glaube, sie haben ein Treffen mit ihm arrangiert . Um eine Nummer zu schieben, sich Stoff zu beschaffen. Ich glaube, daß sie ihn kannten, ihm bis zu einem gewissen Grad sogar vertrauten, sicherlich genügend, um sich an einem privaten Ort mit ihm zu treffen: in seinem Auto, vermutlich sogar in seinem Haus. Ich glaube, daß er äußerlich völlig angepaßt erscheint; vielleicht ist
er Arzt oder Laborangestellter, jemand, der im Krankenhaus arbeitet.« Er hielt inne und wählte seine Worte sehr sorgfältig. »Er ist ganz sicher jemand, dem sie genügend vertrauen, um sich von ihm etwas in die Blutbahn spritzen zu lassen.«
Rebecca hielt mitten in der Bewegung inne und führte das Glas nicht ganz zum Mund. »Was?«
»Er sagt ihnen wahrscheinlich, es sei der schnellste Weg, um high zu werden. Vielleicht ist er jemand, mit dem sie zuvor schon zu tun hatten. Jemand, bei dem sie sich schon früher Stoff beschafft haben.«
»Warum erzählen Sie mir das?«
»Weil ich glaube, daß Sie ihm begegnet sind. Ihn kennengelernt haben, ihn vielleicht sogar schon länger kennen. Und Joni wahrscheinlich auch, obwohl ihr das nicht klar ist. Also frage ich Sie jetzt: Wenn Sie
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