Der Vogelmann
war, ihren Mörder bereits kannten und ihm vertrauten.
»Hallo. Sie!«
Caffery drehte sich um. Der Mann, der auf ihn zukam, war groß, hatte eine Brust wie ein Faß und trug einen Nadelstreifenanzug, dessen Jackett offenstand, und über dem dunkelblauen Hemd mit der dunkelblauen Krawatte waren Hosenträger sichtbar. Sein schütteres Haar war genauso pomadisiert wie das von Diamond. Gold blitzte am Hals und an den Handgelenken. »Die Bullen hätten Sie aufhalten sollen. Von Ihrer Sorte haben hier schon genug rumgestöbert.«
Caffery zeigte seinen Ausweis, und der Mann blieb ein paar Meter entfernt stehen. »Nein, mein Lieber, tut mir leid. Nur so rausziehen, das reicht mir nicht. Geben Sie ihn mir.« Er tippte auf seine Handfläche. »Ein beschissener Presseausweis, oder?«
Caffery beugte sich vor und hielt seinen Ausweis hoch. »In Ordnung?«
Der Mann rieb sich die Nase und steckte die Hände in die Hosentaschen. »Ja, ja. Nichts für ungut. Den ganzen Tag über haben hier Leute rumgeschnüffelt.«
»Sie sind North. Der Besitzer.«
»Stimmt.«
»Wir wurden einander nicht vorgestellt, aber ich habe Sie gesehen. In der ersten Nacht, als wir hier waren.« Er steckte seinen Ausweis wieder ein. »Ich sehe mich hier um.«
»Sie glauben wohl, er kommt hierher zurück. Man sagt ja, der Hund kehrt zu seiner Kotze zurück.« Er lehnte sich nach hinten und sah in den Himmel. »Also? Wann kann ich davon ausgehen, daß Sie mein Grundstück räumen?«
»Sobald wir einen Schuldigen haben.«
»Heute nachmittag hab’ ich mit Ihrem Superintendent geredet.
Ich hab’ gehört, Sie hätten jemand auf dem Revier. Stimmt das?«
»Darüber kann ich nichts sagen.«
»Ein Schwarzer, nicht wahr?«
»Woher wissen Sie das?«
North trat von einem Bein aufs andere und rieb sich die Nase. »Ich hab’ heute morgen gehört, daß die ganze Gegend zwangsenteignet wird. Ein Unglück kommt selten allein, was?« Er klimperte mit Kleingeld in seinen Taschen und sah in den Himmel hinauf, wo sich Wolken zusammenzogen. »Vielleicht sollte ich Sie auf Entschädigung verklagen, was?«
»Ich kann Sie nicht davon abhalten.« Caffery drehte sich um. »Wenn Sie mich jetzt entschuldigen wollen.«
»Ja. ja.« Er stand bewegungslos da und beobachtete Caffery, der sich auf den beschwerlichen Rückweg zur Lieferstraße machte. Erst als er völlig verschwunden war, rührte sich North. Er ließ den Kopf sinken und kauerte, das Gesicht in die Hände gelegt, auf seinen Fersen.
Über dem Themse Barrier hatte es wieder zu regnen begonnen.
Nachdem er mit Peaces Körper gemacht hatte, was er machen mußte, fuhr er weiter. Es gab nur noch eines zu tun: in Bewegung zu bleiben.
Sieh lieber nicht nach unten, Toby.
Er verbrachte den ganzen Tag mit Fahren, als könnte er den schlechten Geschmack vertreiben, wenn er beständig in Bewegung blieb, durch Sturm und Sonne, durch Nieselregen, belaubte Häuserreihen in Camden, grüne Wiesen in Hampstead und über die klebrigen roten Straßen des Hydeparks, bis der Motor des Cobra heißlief und die Sonne hinter Westminster versank.
Kurz nach Einbruch der Dämmerung befand sich Harteveld auf der London Bridge. Ihm stockte der Atem. London breitete sich vor ihm aus, von der diamantenen Spitze der Canary
Wharf nach Westen, durch Millionen von Lichtern, die sich auf der Themse spiegelten, bis zum Parlament.
Er hielt an, fand das Koksbriefchen in seiner Tasche und wickelte es auf. Mit dem Nagel des kleinen Fingers schob er sich etwas Koks in den linken Nasenflügel. Zu seiner Rechten, hinter Guy’s Tower, wo alles angefangen hatte, hing ein tiefer, sanft leuchtender Mond. Harteveld lehnte sich in seinen Sitz zurück und starrte ihn an.
Unter der Brücke schwappte Wasser gegen die Pfeiler.
Er rieb sich die Schläfen und ließ eilig den Cobra an.
Sieh lieber nicht nach unten.
27. KAPITEL
S ie trug ein kurzes, geblümtes Kleid ohne Ärmel und ein schweres kupfernes Armband am Handgelenk: Rebecca war gerade dabei auszugehen, als Jack läutete. Eine Privatausstellung im Barbican Center, normalerweise wäre sie nicht hingegegangen, aber dadurch kam sie wenigstens für einen Abend aus Greenwich heraus. Sie brauchte Abwechslung. Seit dem Tag, als die beiden Detectives Caffery und Essex in die Wohnung gekommen waren, hatte Rebecca an kaum etwas anderes denken können. Sie verbrachte die Tage vor der Staffelei, ohne zu arbeiten, zog abwesend ihren Malpinsel durch Daumen und Zeigefinger und stellte sich die Gesichter vor:
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