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Der Vogelmann

Der Vogelmann

Titel: Der Vogelmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Mo Hayder
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Kayleigh, Shellene, Petra, während Joni vor sich hin summte, zum Frühstück Joints rauchte und high blieb, bis es an der Zeit war, ins Bett zu gehen. Joni hatte deutlich gemacht, daß sie über die Geschehnisse nicht diskutieren wollte. Sie kam kaum nach Hause, und wenn sie heimkam, senkte sich eine seltsam verlegene Schweigsamkeit über das Paar.
    In der Stille spürte Rebecca die ersten zarten Regungen einer Veränderung.
    Ach, mein Gott, es hat sich lange genug angekündigt.
    Verschiedene Welten, jeder sagte das, die beiden lebten in verschiedenen Welten. Und die einzige Verbindung, die einst so verlockend und bedeutsam erschienen war, hatte sich im Lauf der Zeit abgenutzt und verblaßte.
    Rebecca war ein Mädchen vom Land. Ihr Vater, ein großer, ernster Mann mit klassischem Philosophengesicht, fand sein wahres Glück nur im Studierzimmer zwischen goldgeprägten
Ausgaben elisabethanischer Liebessonnette. Während seine Frau im oberen Stockwerk hilflos herumtaumelte und sich massenweise verschriebene Tranquilizer in den Mund stopfte. Die Ärzte raunten etwas von bipolaren Störungen. Manchmal lag sie tagelang im Bett und vergaß, sich zu waschen oder zu essen. Vergaß, daß sie eine Tochter hatte, um die sie sich kümmern sollte.
    Und darauf mußte Rebecca ihre Identität aufbauen: auf Spensers Liebesgedichten und Amitriptylin. Und langen Schlafenszeiten. Wenn die kleine Becky laut war, wurden ihr Mamis Tranquilizer in den Orangensaft geschüttet.
    Sie wuchs zu einem mageren, ernsten Teenager heran, der sich für sehr einsam und sehr einzigartig hielt.
    Es sind die Väter, die Mißbrauch betreiben, nicht die Mütter. In den Zeitungen und im Fernsehen hört man nichts von Müttern.
    Sie floh aus Surrey, wollte auf die Universität gehen, landete aber statt dessen in London. Und plötzlich war Joni da: in Shorts, mit einer herzförmigen Sonnenbrille auf der Nase und einer Marihuanazigarette zwischen den Zähnen kam sie ihr schwankend auf den Straßen von Greenwich entgegengetänzelt und schimpfte wie ein Wanderprediger über ihre beschissene Kindheit. Die hatte aus Sozialsiedlungswohnungen, Schlangestehen in Wohltätigkeitseinrichtungen, vollgekotzten Treppenhäusern und vögelnden Tauben auf ihrem Fenstersims bestanden. Aber das Thema war so vertraut, daß Rebecca wie vom Schlag gerührt war:
    »Mum. Es war Mum, die mich auf Drogen setzte. Wenn sie einen schlechten Tag hatte, ließ sie mich einfach ihre Pillen schlucken, um mich ruhigzustellen. Sie schob sie mir in den Mund und brüllte das Haus zusammen, wenn ich sie nicht schluckte. Man hätte sie vierteilen sollen, bevor ich geboren wurde, das verdammte verrückte Miststück.«
    Und Rebecca sagte:
    »Einmal mußte ich mich in ihrem Badezimmer waschen. Sie
weinte. Ich war acht und begann, auch zu weinen. Sie gab mir Pillen, um mich zu beruhigen.«
    »Das kenne ich: Tofranil.«
    »Ja, irgendwas in der Art. Und wenn sie nicht richtig aß, habe ich auch nichts Richtiges bekommen. Einmal habe ich eine ganze Woche lang von Bananen-Nesquick gelebt. Mein Vater sagte, ich würde dürr werden, und das machte ihr angst. Sie fuhr schnurstracks zu Bejam’s in Guildford und kam mit fünf Viertelpfundbechern neapolitanischer Eiscreme zurück, die sie mir runterzwang, bis ich alles auskotzte.«
    »Und dann hat sie dich wahrscheinlich windelweich gedroschen.«
    Sie wußten, wie verschieden sie waren, schworen sich aber, im Herzen Schwestern zu sein. Gemeinsam verlebten sie die glücklichen, ungestümen Jahre Anfang der Zwanzig, teilten sich Liebhaber und Lippenstifte. Keine der beiden machte sich Gedanken über die Zukunft, und Joni verschlief die Tage, um sich von den vergangenen Nächten zu erholen, während Rebecca früh aufstand und den Bus zum Goldsmith College nahm. Allmählich löste sich die innige Verbundenheit zwischen ihnen, und Rebecca vertraute Joni genausowenig an wie einem Kind.
    Vor allem nicht das, was sie über Detective Caffery dachte.
    Ein Bulle? Ein Bulle um alles in der Welt, bist du wahnsinnig?
    Aber gestern vor dem Pub war sie vom Anblick seines Halses kurzfristig wie gelähmt gewesen. So etwas Albernes, aber sie war gebannt gewesen von der Kombination von gebräunter Haut, weißem Kragen und kurzgeschnittenem Haar. Und sie hatte sich mehrmals dabei ertappt, sich zu fragen, wie er wohl aussah, wenn er zum Höhepunkt kam.
    Während sie jetzt in ihrem Partykleid im Atelier saß, bemühte sie sich, das Bild zu verscheuchen.
    Wirklich, Becky, jetzt streng

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