Der Vogelmann
Party. Meine Freunde kommen. Bitte ruinier mir nicht alles!«
Caffery nahm sein Glas.
»Wohin gehst du?«
»Ich nehme ein Bad.«
»Hör zu.« Sie sprang auf und legte ihre zitternden Hände auf seine Brust. »Es tut mir leid, Jack. Es tut mir leid. Wirklich. Es ist doch nur, weil ich dich so sehr liebe …«
Aber er sah sie mit solcher Abscheu an, daß sich ihre Augen erneut mit Tränen füllten. Sorgfältig pflückte er ihre Finger von seiner Brust und schob sie auf den Stuhl zurück. Haltlos weinend sank sie nieder. »Du Mistkerl, du Mistkerl. Du hast mich gezwungen, das zu tun, du hast mich gezwungen zu lügen. Du und deine verdammte Besessenheit …«
Caffery nahm die Flasche vom Kühlschrank, schloß die Tür und ging nach oben.
Später, als sein Puls sich wieder beruhigt hatte, nahm er die Flasche Glenmorangie mit ins Badezimmer, glitt mit geschlossenen Augen ins Wasser und hielt das beschlagene Glas auf dem Wannenrand fest. Eine Woge der Müdigkeit ergriff seinen ganzen Körper. Bewegungslos lag er da, atmete durch die Nase und dachte absurderweise und voller Selbstmitleid, daß dies alles Pendereckis Schuld war. Daß Penderecki ihm einen Stein ins Herz gepflanzt hatte, der ihn daran gehindert hatte, gut und gesund aufzuwachsen, der ihn von einem Grundrecht ausgeschlossen hatte, dem Recht zu lieben.
Er dachte, er könne Veronica unten hören, die etwas Schweres hinaustrug, und er registrierte, daß die Eingangstür leise zuschnappte.
Er trank wieder einen Schluck Whisky und tauchte unter, während der St. Christopherus von seiner Mutter, den er an einer Kette um den Hals trug, nach oben stieg und sanft gegen sein Kinn schlug, sanft wie ein vorsichtig beißender Fisch.
Er dachte über Rebecca nach. Über ihr Gesicht am Treppenabsatz. »Er macht mir angst, wissen Sie, der Mörder.«
Eine Stufe knarzte. Einen Augenblick lang war er sicher, daß sein Handy klingelte. Er hob den Kopf und lauschte angestrengt.
Stille. Er tauchte wieder unter. Rebecca. Er spürte das bekannte Ziehen in seinem Bauch. Würde er ihr dasselbe antun, was er den anderen angetan hatte, sie zwingen, sich zu demaskieren, die zerbrechliche Hülle ihrer Würde abzuwerfen, und dann das Interesse verlieren und sie verlassen, weil er an soviel wichtigere Dinge denken mußte?
Er setzte sich auf, trank den Whisky aus, stieg aus dem Bad und trocknete sich ab. Im Schlafzimmer lag Veronica auf dem Rücken, ganz still.
»Veronica?«
Sie schwieg, ihr Blick war leer.
»Veronica? Es tut mir leid.«
Sie erwiderte nichts.
»Ich habe nachgedacht.«
»Was?« sagte sie teilnahmslos. »Was hast du gedacht?«
»Die Party. Ich gebe sie.«
Sie seufzte und drehte sich von ihm weg. »Danke.«
»Ich werde heut nacht auf dem Sofa schlafen.«
»Ja«, sagte sie, während ihre Arme schlaff auf dem Bett lagen. »Mach das.«
29. KAPITEL
D er Raum des Polizeiarztes im Revier von Greenwich hatte keine Fenster. Der einzige Schmuck bestand aus einem vergilbten Heroinplakat und einem mit Folie überzogenen Blatt, auf dem die Rechte des Verhafteten auf rechtlichen Beistand aufgeführt waren. Auf einem niedrigen Resopaltisch lagen Broschüren, die nie jemand lesen würde. HIV – Sind Sie gefährdet? Crack/Kokain – ein Rechtshandbuch und eine Broschüre des Vereins zur Unterstützung von Opfern – Hilfe für die Opfer von Verbrechen.
»Krempeln Sie Ihren Ärmel hoch.« Der Gerichtsmediziner schrubbte sich, saubere weiße Hände glitten in Latexhandschuhe und öffneten einen Kasten zur Probenentnahme, in dem eine Spritze, eine nierenförmige Schale, Phiolen, Etiketten und Wattestäbchen lagen. Gemini fixierte den Blick auf einen losen Faden am dritten Knopfloch des weißen Mantels. Die Sache hatte eine schlimme Wendung genommen, das mußte er zugeben.
Als Detective Inspector Diamond vor zwei Tagen die Nase durch den Briefkastenschlitz gesteckt und gesagt hatte: »Sie wissen, warum wir uns dafür interessieren, nicht wahr?«, hatte Gemini die Nachrichten noch nicht gesehen. Die Polizeiaktion hatte ihn aber so aufgeschreckt, daß er sicher war, die Mädchen wären tot und daran wäre der Stoff schuld, den er für Dog verteilt hatte. Doch als Detective Diamond das zweite Mal an seine Tür klopfte, war alles schlimmer geworden, Gemini hatte die Zeitungen gelesen und kannte die Wahrheit. Er wußte, daß es sich hier um kein Drogenvergehen handelte. Er wußte, daß
er den falschen Leuten ein wenig zu nahe gekommen war. Und jetzt war er so mit den
Weitere Kostenlose Bücher