Der Vollstrecker
deinem Akzent.«
Sie warf Hunter einen fragenden Blick zu. »Echt?«
»Pennsylvania Dutch, stimmtâs?«, sagte er sachlich.
»Er steckt voller solcher Tricks«, meinte Garcia vertraulich. »Deswegen wird er auch nie auf Partys eingeladen.«
Sie lächelte. Der doppelte Eisbrecher hatte funktioniert. Hunter sah, wie sich ihre Schultern ein wenig entspannten und sie die Luft ausstieÃ, die sie seit ihrer Ankunft angehalten hatte.
»Sie haben recht, ich bin aus Pennsylvania.« Sie sah zwischen Hunter und Garcia hin und her und zögerte einen Moment. Ohne danach gefragt worden zu sein, beschloss sie, ganz am Anfang anzufangen.
65
M ollie Woods wurde am ersten Weihnachtsfeiertag in Huntingdon County, Pennsylvania, geboren. Obwohl sie als gesundes Kind zur Welt kam, hatte die lange und komplizierte Geburt den Uterus ihrer Mutter so stark in Mitleidenschaft gezogen, dass Mollie ihr einziges Kind blieb.
Mollies Geburt brachte groÃe Veränderungen im Leben ihrer tiefreligiösen Eltern mit sich. Ihr Vater John tat sich schwer damit, zu akzeptieren, dass er niemals den Sohn haben würde, den er sich so sehnlich gewünscht hatte. In seinen Augen hatte Gott ihn und seine Frau mit einer Tochter gestraft. Und diese Strafe musste weitergegeben werden.
Sobald sie sprechen konnte, lehrte er Mollie zu beten. Und sie betete. Dreimal täglich, nackt in einer Zimmerecke, wo sie auf getrockneten Maiskörnern knien musste.
Im Lauf der Jahre nahm Johns Verbitterung immer weiter zu. Unter dem Deckmantel der Frömmigkeit lieà er seinen Zorn gnadenlos an der kleinen Mollie aus. Schon in ihrer Kindheit war ihr Körper oft grün und blau.
Dem Aussehen nach ähnelte Mollie ihrer Mutter, mit einem zarten herzförmigen Gesicht, vollen rosigen Lippen, hypnotisierenden braunen Augen und dunklen Locken. Mit dreizehn war sie gröÃer und weiter entwickelt als die meisten Mädchen ihres Alters.
John Woods sah Mollies erblühende Schönheit als eine neuerliche Prüfung Gottes. Schon jetzt erregte sie die Aufmerksamkeit älterer Jungen, und John wusste, dass es nur eine Frage der Zeit war, bis sie der Versuchung nachgeben und der Sünde anheimfallen würde. Er musste sie lehren, Gut von Böse zu unterscheiden.
Diese Lehrstunden begannen unmittelbar nach ihrem dreizehnten Geburtstag. Ihre Mutter arbeitete in einem 24-Stunden-Supermarkt im Stadtzentrum, und zweimal die Woche hatte sie dort Nachtschicht. Mollie fürchtete sich vor diesen Nächten. In ihrem Bett, in der Dunkelheit ihres Zimmers rollte sie sich ganz klein zusammen und betete, aber kein Gott wollte sie hören. Wieder und wieder musste sie ertragen, dass ihr Vater sie brutal missbrauchte, um ihr zu zeigen, was die Jungen mit ihr machen würden, wenn sie sie lieÃe.
Die Alpträume und das Nasenbluten begannen etwa zur selben Zeit wie die nächtlichen Besuche ihres Vaters. Zuerst konnte sich Mollie keinen Reim auf die furchtbaren Bilder machen, die sie sah, aber sie kamen ihr so real vor, dass sie bald panische Angst vor dem Einschlafen hatte und alles tat, um wach zu bleiben. Doch es dauerte nicht lange, bis die beängstigenden Visionen sie auch im Wachen heimsuchten, oft am helllichten Tag: Kinder, die von ihren Eltern misshandelt wurden, Männer, die ihre Frauen schlugen â sie konnte der schrecklichen Bilderflut keinen Einhalt gebieten.
Und dann kam der Tag, an dem eines dieser Bilder ihre Seele zum Erstarren brachte.
In einer ihrer Visionen sah sie, wie ihre Mutter von einem betrunkenen Autofahrer getötet wurde. An jenem Abend flehte sie ihre Mutter vergeblich an, nicht zur Arbeit zu gehen. Sie war ganz auÃer sich vor Angst, aber ihr Vater schlug ihr ins Gesicht und schickte sie auf ihr Zimmer. Er hatte genug von ihren verrückten Träumen. Er lächelte sein geheimes Lächeln und sagte ihr, dass er mit ihr zusammen in ihrem Zimmer beten würde, sobald die Mutter fort sei.
Eine Stunde nachdem ihre Mutter aus dem Haus gegangen war, stand die Polizei vor der Tür. Mrs Woods war Opfer eines Unfalls mit Fahrerflucht geworden und noch am Unfallort gestorben.
Dies war die Nacht, in der Mollie von zu Hause weglief. Die Nacht, in der im Kopf ihres Vaters irgendwo eine Sicherung durchbrannte.
66
B eide Detectives hörten sich ihre Geschichte schweigend an. Doch sie erzählte ihnen nicht alles. Sie erwähnte weder ihren richtigen Namen, noch sagte sie ein
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