Der Vollzeitmann
seinem Alter noch so oft aus wie er - allein, ohne Partner, bis zum bitteren Ende?
In der Firma spürte er manchmal die neidischen Blicke selbst der jüngeren Verheirateten, die ihm verständnisvoll und bewundernd zublinzelten, wenn er übernächtigt im Büro erschien. In solchen Momenten fühlte er sich gut und überlegen, so wie jemand, der das Leben auskostete um jeden Preis, ein echter Kerl, dem nichts entging.
Und dann gab es Momente, so wie jetzt, da dachte er, dass ihm alles entginge, nicht nur der Sex mit Doro, sondern grundsätzlich alles. Er leerte den nächsten Gin Tonic. Lars musste sich auf das Wesentliche konzentrieren. Er ging auf die volle Tanzfläche. Um ihn herum kreischten sie und schmissen die Arme in die Luft. Die Euphorie riss ihn mit. Er mitten im Wahnsinn der Nacht. Wie geil war das denn eigentlich? Das war doch das wahre Leben. Er sah sich im Spiegel tanzen. Wie er die Hüften kreisen ließ, so lässig und elegant, das musste ihm erst einmal jemand nachmachen. Er fühlte sich gut.
Lars musterte unauffällig die Frauen auf dem Dancefloor und schob sich unmerklich an solche heran, die offensichtlich alleine oder mit ihrer Freundin tanzten. Es war sehr eng. Manchmal streifte ihn zufällig ein herumfliegender Frauenarm, oder ein Becken stieß unbeabsichtigt an seins. Das fand er jedes Mal wieder aufregend.
Manchmal kam er ihnen extra nahe, damit genau diese kleinen Unfälle passierten. Natürlich ganz unauffällig. Er kriegte ein paar Augenflirts hin. Am Tresen merkte er allerdings,
wie schwer ihm das Reden fiel. Der Boden bewegte sich.
Als er von der Toilette zurückkam, stand die Frau, die er sich ausgeguckt hatte, in einer anderen Ecke bei einem Typen und zeigte lachend auf ihn. Er zahlte und ging. Das läuft nicht gut, dachte Lars, das läuft gar nicht gut.
Jochen erwachte vom Lärm seines Handys. Er hatte »Spiel mir das Lied vom Tod« als SMS-Ton. Natürlich eine Nachricht von Bretti. »Komm runter in den Strandkorb«, schrieb er, »die Birne wartet schon.« Das war Geheimsprache. Der Strandkorb war die verranzteste Eckkneipe Berlins, in der sich im Morgengrauen Taxifahrer, Zeitungsboten, Bettflüchtige, Trinker und Bretti zum fröhlichen Gelage trafen. Die Wirtin schenkte schwarz gebrannten Birnenschnaps aus. Zuviel von dem Zeug machte blind. Aber drei, vier Gläschen bewirkten einen Bombenrausch.
»Wer die Eier hatte, allein zu ›I am what I am‹ zu tanzen, der durfte auch heulen.«
Jochen konnte sich eine ausgedehnte Sauftour allerdings nicht leisten. Erst gestern hatte er um zwei Wochen Aufschub gewinselt bei seinem Vermieter, einem geldgierigen Rentner aus dem Westen, der bevorzugt knurrte, egal zu welchem Thema.
»Muss erst noch Geld ziehen«, smste Jochen zurück.
»Komm einfach runter, ich hab’ Kohle«, antwortete Bretti.
»Ich sauf dich arm«, smste Jochen.
»Schaffste nicht«, antwortete Bretti.
War eigentlich auch selbstverständlich. Wenn der Sausack ihn schon vier Stunden warten ließ, konnte er wenigstens die Zeche übernehmen. Bretti mochte viele Macken haben, aber er hatte Stil; er wusste, wie Jungs sich untereinander verhielten. Er war ein echter Freund, dachte Jochen: sein einziger. Und den würde er verlieren, genau in dieser Nacht.
Jochen spürte Tränen aufsteigen. Er schniefte.
»Scheißegal, Alter«, flüsterte er sich zu, »lass laufen! Lass einfach laufen!«
Wer die Eier hatte, allein zu »I am what I am« zu tanzen, der durfte auch heulen.
Nach Mitternacht, auf dem Höhepunkt von Nizza, wollte Ulrike zum ersten Mal gehen. Doch inzwischen befand sie sich in fortgeschrittener Weinschorlen-Laune und quatschte ohne Unterlass. Die Pfostin hatte mit dem Konturstift ihre Lippen nachgezogen. Ihr Grinsegesicht sah noch greller aus, wie bei einem Clown. Sie versprühte ungefähr so viel Charme wie Charles’ Camilla. Wie konnte der Pfosten sich überhaupt zum Sex motivieren?
Maik wollte längst gehen, aber der Pfosten sagte alle fünf Minuten: »So jung kommen wir nicht mehr zusammen« und füllte die Gläser. Maik war müde und betrunken. Aber einmal wollte er noch gewinnen. Alle anderen hatten bereits einen Sieg errungen, sogar Ulrike.
Attilas Augen brauchten eine Weile, bis sie sich an das Schummerlicht im Beaux gewöhnt hatten. Er checkte zügig Tische und Bar. Verdammt, da hinten in der Ecke saß Bülow, ein minderbegabter Berater, der allerdings einen guten Namen hatte. Attila wäre lieber nicht von Kollegen erwischt worden, schon gar nicht
Weitere Kostenlose Bücher