Der Vollzeitmann
ausgesehen. Obwohl: Tag für Tag bezahlte eine Million deutscher Männer für Sex, hatte Jochen gelesen, nur am Wochenende waren es weniger. Da war Mutti an der Reihe.
Jochen rechnete: Vierzig Millionen männliche Wesen gab es in Deutschland. Alles bis zur Volljährigkeit schied aus, alles über sechzig auch, blieb vielleicht noch gut die Hälfte, sagen wir fünfundzwanzig Millionen. Wenn täglich eine Million Männer Sex für Geld hat, aber nicht jeden Tag die
gleichen, sondern, schon aus Kostengründen, jeder nur einmal werktäglich, dann gönnten sich pro Woche fünf Millionen eine professionelle Entspannung - also jeder fünfte deutsche Mann zwischen achtzehn und sechzig, jedenfalls statistisch gesehen. Hoppala.
Jochen las zwar seit Jahren die kleinen, versauten Anzeigen in der B. Z. , bewunderte die Kreativität der Texter und malte sich aus, wie er eine »Dreilochstute« wohl ohne Bänderdehnung befriedigen könnte. Flatrate-Bumsen war offenbar der neue Hit. Jochen hätte schon ein einziges Mal gereicht. Er war noch nie bei einer Hure gewesen, auch wenn er schon mehrmals ernsthaft darüber nachgedacht hatte. Wahrscheinlich sah er trotzdem wie ein Flatrate-Popper aus. Das Leben ist scheiße ungerecht, dachte Jochen.
Andererseits war er auch ganz froh, dass er nicht in der Klemme steckte wie dieser Thai-Puff-Typ, der sich vorgestellt hatte mit: »Ich bin der Maik, mit ›a‹ und ›i‹.« Jochen unterdrückte ein Grinsen. »Maik mit ›a‹ und ›i‹« war außer Trabi und auberginefarbenen Haaren das sicherste Indiz für eine Ost-Biografie. Immerhin eine ehrliche Haut. Maik wollte seiner Frau keine halbgare Geschichte auftischen, wo er denn die ganze Nacht wohl zugebracht habe. Er zitterte ziemlich glaubwürdig. Also bastelten sie ein Alibi. Und Jochens Anruf würde der Schlüssel sein. Jochen fühlte sich geehrt, dass man ihm in einer derart heiklen Mission vertraute. In seiner Not hatte sich Maik eine Räuberpistole ausgedacht, die er soeben seiner Frau an Jochens Handy erzählt hatte: überwältigt, betäubt, ausgeraubt, liegen gelassen, aufgewacht, bei einem Passanten das Handy geliehen, für eben diesen Anruf jetzt bei seiner Frau. Jochen hörte gebannt zu, wie überzeugend Maik die Story vortrug. Es klang so, als ob die Gattin seine Geschichte tatsächlich fraß. Yes, Bruder, dachte Jochen und reckte innerlich den Daumen.
Nun folgte sein Part: Jochen sollte bei Maiks Frau anrufen und behaupten, er habe das Portemonnaie von Maik gefunden, bei seiner Kontrollrunde kurz vor Schichtende. Angeblich hatten es die Diebe ausgeräumt und ins Gebüsch bei Luft/Wasser geworfen.
Maik hatte das Bargeld aus seinem Portemonnaie genommen, Jochen einen Fuffi in die Hand gedrückt und den Rest in seine Hosentasche gestopft. »Würden Diebe nicht auch die Kreditkarte mitnehmen?«, wandte Jochen ein. Maik überlegte. Stimmte ja, die Abrechnung. Er zog die Kreditkarte heraus und zerschnipselte sie mit der Schere, die ihm Jochen reichte. Es tat weh, die Hertha -Karte eigenhändig zu zerstören. »Das muss genügen«, sagte er, »will mir den ganzen Kram ja nicht neu besorgen müssen.«
Maik gab Jochen die Hand, coole Version, mit Daumengriff. Jochen fühlte sich großartig. Er hatte einen Freund gewonnen. Vertrauen herrschte, ohne viele Worte. So machen Männer Geschichte.
Lars stand unter der Dusche und seifte bereits zum dritten Mal lustlos an sich herum. Eine Klubnacht hinterließ einen Schmierfilm auf der Haut, aus Schweiß, Nikotin, Rasierwasser und Dreck. Einmal Einseifen reichte da nicht.
Kaum hatte er die Wohnung aufgeschlossen, hatte sich Tanja auf sein Ledersofa fallen lassen. Ihr Rock war so weit hochgerutscht, dass er gar nicht mehr viel hätte herumfummeln müssen. Ihre Beine waren eigentlich ganz hübsch, die Haut allerdings deutlich zu transparent. Zwanzig Jahre Klubnächte gingen auch am stählernsten Körper nicht spurlos vorbei.
Bei Tanja waren es die Beine. Wie durch eine fahle Folie
schimmerten ihre Adern als blaues Geflecht, so als ob sie kurz vor dem Erfrieren wäre. Es sah aus, als ob sie Netzstrümpfe trug, mit sehr unregelmäßigem Muster allerdings. Lars überlegte, ob es Google Maps eines Tages auch für Frauenkörper geben würde. Wenn er zum Beispiel unauffällig Tanjas Schenkel schon im Klub mit dem Handy fotografiert hätte, würde ihm Google für neunundneunzig Cent umgehend melden: »Tanja Schuster, neununddreißig Jahre, ledig, zweihundertsechsunddreißig verschiedene
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