Der Vollzeitmann
Wenn Frauenklos auch nur annähernd so eklig waren wie
Männerklos, und daran gab es keinen Zweifel, dann würde er einen giftigen Cocktail probieren müssen, entweder als Geruchsbombe oder als Geschmackssprengsatz über den Gaumen. Sowieso ein Wunder, dass ihm nicht alle vier Wochen blumenkohlgroße Ekzeme auf den Lippen oder sonstwo sprossen. Er sollte sich mal in der Uni-Klinik melden, als medizinisches Wunder. Vielleicht war er immun gegen Infektionen aller Art, so wie bestimmte Affenarten.
Lars dreht die Dusche ab und lauschte. Er hörte die Musik, aber nichts von Tanja. Der Tankstellenfuzzi hatte ihn auf die Idee gebracht, »Wish You were here« aufzulegen - Spitzen-Mucke, konnte man so durchlaufen lassen. Eigentlich viel zu gut für Tanja. Sie hatte das Gesicht verzogen, als sie die ersten Takte hörte. Konsequenterweise hätte man sie genau in diesem Moment bereits an die Luft setzen müssen. Hundeschule für Frauen, das wär’s mal. Tanja hatte keine Ahnung von Musik, wie die meisten Frauen. Sie glaubte an die Charts und die Brabbelexperten aus dem Radio, die wiederum nur nacherzählten, was sie in britischen Fachzeitschriften-Blogs gelesen hatten.
Lars fuhr sich eilig mit der Zahnbürste durch den Mund und schlang sich ein Badetuch um die Hüften, nachdem er sorgfältig geprüft hatte, ob es auch wirklich durchgängig weiß war. Nichts war peinlicher als ein Handtuch mit roten, braunen oder gelben Flecken. Von Ei bis Haarcoloration war alles denkbar, auch Schlimmeres.
Tanja lag zusammengerollt auf dem Sofa und schnarchte leise. Ein dünner Sabberfaden rann aus ihrem Mundwinkel auf sein Sofa. Leder war doch eine feine Sache. Einmal mit dem Küchenlappen drüber, und fertig. Bei Cord dagegen hätte er sich jetzt echte Sorgen machen müssen, ob die toxische Spucke nicht vielleicht helle Flecken im dunklen Stoff hinterlassen würde.
Lars schickte ein stilles Dankesgebet zum Himmel, warf Tanja seine geliebte Fernsehdecke aus echtem Kamelhaar über, ein Erbstück von seiner Mutter, und schlich sich ins Schlafzimmer. Er stellte den Wecker auf halb neun, warf einen sehnsüchtigen Bick auf das Panoramabild von Ko Phanghan und verfluchte sich ein weiteres Mal, weil er immer noch keine Vorhänge hatte. Tageslicht nervte ihn, eigentlich schon sein Leben lang.
Attila hatte das verdammte Hörbuch nach we-nigen Minuten abgedreht. Das manierierte Geschwätz von diesem Ben Becker machte ihn aggressiv. Der Typ tat so, als habe er mindestens fünf Jahre russischer Gefangenschaft durchgemacht. Attila hatte nun wirklich nichts gegen Attitüden. Aber sie mussten einigermaßen glaubhaft sein.
Jetzt lief das Electric Light Orchestra . ELO - Musik von früher. Attila war textsicher. Er sang jede einzelne Zeile mit, um sich zu beweisen, dass seine Fehlerquote bei null Komma null lag. »It’s a little thing, it’s a terrible thing to lose.« Herrje, der Refrain machte gar keinen Sinn. »Livin’ Thing« hieß das Stück natürlich. »Oh, moving in line when you look back in time to your first day, I’m shakin’, I’m shakin’«, verdammt, nein: »I’m taken, I’m taken«.
Zwei textliche Unsicherheiten in einem textarmen Stück, von dem er dachte, dass er es noch auf dem Sterbebett fehlerfrei würde singen können. Wie peinlich. Man darf sich nie sicher sein, in gar nichts. Höchste Wachsamkeit, erst recht bei sich selbst. Der kleinste Patzer konnte der letzte sein, vor allem, wenn man sich zu sicher fühlte. Die Gefahr lauerte immer und überall und dort am unerbittlichsten, wo man nicht damit rechnete.
Die Bindinger würde jede Schwäche unerbittlich ausnutzen. Es herrschte Krieg. Und Kriege gewann nicht der, der tolle Siege errang, sondern der, der weniger Fehler machte. Fehler ließen sich reduzieren, mit Disziplin und Akribie und mathematischer Kühle. Erst dann, ganz am Ende, kam Genialität hinzu, bei den letzten fünf oder sieben Prozent vielleicht. Wenn alles andere stimmte, dann kam man gut auch ohne Genialität zurecht, vor allem in Deutschland: Angela Merkel, Wolfgang Joop, Thomas Gottschalk, Heidi Klum, Jan Hofer - sie alle waren akribische Pflichterfüller, die vor allem Fehler reduziert hatten.
Wer in Deutschland Star sein wollte, musste nur eines begriffen haben: Am Ende war das Leben nicht mehr als eine Excel-Tabelle, die sich aus einem festen Repertoire von Variablen zusammensetzte. Es gab einerseits Pflicht-Variablen wie die Bereitschaft, sich zu jedem Scheiß zu äußern, der konsequente
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