Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Vollzeitmann

Titel: Der Vollzeitmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Achilles
Vom Netzwerk:
größtmögliche Plausibilität abzuliefern. Nun musste sich seine Story zum ersten Mal bewähren, vor drei skeptischen Ermittlern gleichzeitig, die alle ein verdammt gutes Gedächtnis hatten. Selbst Henry mit seinen sieben Jahren war darauf getrimmt, sich jedes gottverdammte Detail zu merken. Das kam von den Detektiv-Geschichten, die Ulrike ständig mit ihm las. Misstrauen und Mülltrennen, das
waren die beiden Zentralwerte, die Kinder heute vermittelt bekamen.
    Maik holte tief Luft. »Ich war mit Lehmann aus dem Garten-Center ein Bier trinken.«
    Seine Tochter nickte.
    »Natürlich haben wir uns wieder verquatscht. So gegen Mitternacht wollte ich dann durch den kleinen Park zum Auto gehen und nach Hause fahren.«
    Bis hierhin stimmte die Geschichte sogar. Nur, dass er nicht ins Auto stieg, sondern in ein schummeriges Parallel-Universum, das aus einer Theke bestand und einer Bühne mit Silberstange, nicht größer als eine Telefonzelle. Wie aber erklärte man Kindern, dass ein Bier zehn Euro wert war, wenn man es beim Anblick von Frauen trinken durfte, die mehr oder weniger anmutig an dieser Stange herumturnten? Maik begab sich auf das schwankende Terrain der Phantasie. »Als ich im Dunkeln durch diesen kleinen Park an den Bänken entlangging, da spürte ich plötzlich etwas im Nacken. Ich drehte mich um, und schon hatte ich einen stinkenden Lappen im Gesicht. Irgendwer zog meine Arme auf den Rücken. Ich wollte schreien - aber da war ich auch schon weg.«
    Anna und Henry guckten angstvoll. Ulrike hatte die Arme schützend um die beiden gelegt.
    »Und dann?«, fragte sein Sohn.
    »Es gab kein ›Und dann‹. Ich war sofort bewusstlos. Wie in tiefem Schlaf. Ich habe niemanden gesehen, nicht mal was gehört. Als ich aufwachte, lag ich im Gebüsch. Mein Schädel brummte, und das Portemonnaie war weg, samt Handy. Zum Glück haben sie den Autoschlüssel nicht gefunden; den hatte ich in der Hosentasche. Ein netter Zeitungsausträger hat mir dann sein Handy geliehen. Damit habe ich Mama angerufen.«

    Maik blickt in die Gesichter seiner Familie. Sie schauten ihn an, starr vor Furcht und Mitgefühl. »Tut dir noch was weh?«, fragte Ulrike. »Du solltest zum Arzt. Und vor allem zur Polizei. Und die Karten sperren lassen.«
    Maik nickte grimmig. »Mache ich alles. Aber erst mal muss ich wieder klar aus den Augen gucken können. Kann ich eine Schüssel Haferbrei haben?«
    »Ein echter Kerl tut, was er tun muss, basta. Und die Frau hat ihn zu lieben oder nicht. Auch basta.«
    Die Kinder stürzten in die Küche, Ulrike hinterher. »Finger weg vom Topf«, rief sie, »der ist heiß. Es ist genug für alle da.«
    Maik atmete auf. Ulrikes Fürsorge galt wieder ausschließlich den Kindern. Keine peinlichen Nachfragen, also offenbar auch keine Widersprüche. Sein Schädel brummte. Aber er schien das Gröbste hinter sich zu haben.
    Warum tat er sich das eigentlich an, jeden Mist mit den absurdesten Geschichten zu rechtfertigen? Ein echter Kerl tut, was er tun muss, basta. Und die Frau hat ihn zu lieben oder nicht. Auch basta. Und vor allem hatte ihm die Familie mit Ehrfurcht zu begegnen. Seit eine völlig normale männliche Regung wie Aggression zur schlimmsten Krankheit seit Herpes erklärt worden war, schwankte das seit Jahrtausenden bewährte Sippen-Konzept. Familie, das war bestenfalls Aufgabe, aber bestimmt nicht jenes Lebensabenteuer, das ihm drei Dutzend gefühlsklebriger Vater-Bücher versprochen hatten. Vor allem von den fundamentalen Veränderungen der Frauen war absolut nichts zu lesen gewesen.
    Das war auch wieder so eine West-Spezialität: Erst diegroße
Schnauze. Aber kaum wurde es spannend oder ehrlich oder radikal, dann zogen sie zurück. Wessis waren Maulhelden, nicht unbedingt bösartig, aber hasenfüßig und verlogen. In Wirklichkeit war selbst Ulrike so, auch wenn sie Solidaritätsadressen für die Leipziger Buchmesse abgab, unermüdlich die Mecklenburgische Seenplatte pries und ein Trikot vom 1. FC Union als Nachthemd trug.
    Maik sehnte sich nach Freiheit, spannend, ehrlich und radikal. Es war Zeit für Konsequenzen. Nur jetzt noch nicht. Aber eines Tages würde es so weit sein.

    Martin genoss diese Momente, wenn alles stimmte. Er hatte mit dem Tankstellenverkäufer über das durchwachsene Wetter gesprochen, die leeren Versprechen der Politik und über Pink Floyd . Jetzt schob er nach Hause.
    Norbert schlummerte besonders gut, wenn sie an der sechsspurigen Bundesallee entlangliefen und der Windzug eines Lasters

Weitere Kostenlose Bücher