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Der Vollzeitmann

Titel: Der Vollzeitmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Achilles
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Gegen die Krämpfe, zu denen Attila leider neigte,
warf er zwei Magnesium-Tabletten in ein Glas und einen halben Teelöffel Salz dazu.
    Attila ließ Badewasser ein und gab einen kräftigen Schuss Muskelfluid in die Wanne. Das Zeug brannte wie Höllenfeuer, aber es entspannte, vor allem, wenn er die Sprudeldüsen anstellte. Vielleicht bekam er den verfluchten Krampf auf diese Weise aus dem Bein gejagt. Nichts war entwürdigender als ein Hottentottentanz vor der Badewanne, klatschnass und nullerigiert, ohne dass man seiner Frau sofort erklären konnte, was los war, weil man vor Schmerzen einfach nur brüllte.
    Attila griff sich noch zwei Fläschchen Vitasprint aus dem Küchenschrank: B12-Komplex, das war genau, was er jetzt brauchte. Turbopowerboost. Folsäure war das geheime Elixier aller Erfolgreichen. Außerdem mochte er das kleine Ritual: Zuerst den Plastikdeckel wie bei einer Handgranate abreißen, dann den roten Knopf wie bei einem Notfall einschlagen und schließlich den Deckel mit den Zähnen losbeißen. Das Zeug schmeckte wie Seife, aber immerhin wie teure.
    Als Attila in die Badewanne glitt, spürte er das Glück der Erschöpfung. Er hatte gewonnen, mal wieder. Und: wie immer.

    Die Familie lag im Bett, Dorothea in der Mitte, Otto links neben ihr. Martin packte Norbert auf die andere Seite. Auf einmal schlief dieser Teufelsbraten. Dafür liebte Martin seinen Sohn. Alles, nur nicht normal, dachte er sich, immer wieder überraschend.
    Martin genoss die wenigen Minuten der Morgenruhe, die er für sich allein hatte. Manchmal griff er sich die Zeitung,
die er von unten mitgebracht hatte, manchmal stöberte er in einem Buch, manchmal grübelte er einfach nur vor sich hin. Heute könnte er mit seinen kühnen Gedanken beim Brainstorming punkten.
    Leider nahm die Agentur seine Elternzeit deutlich ernster als er. Man brauchte ihn einfach nicht. Er war offenbar zu ersetzen. Womöglich lümmelte dieser klugscheißerische Praktikant auf seinem Designer-Hocker aus Nussbaum. Dieser kleine Hosenscheißer hatte Philosophie zu Ende studiert und trug ebenfalls eine Brille mit breitem schwarzen Hornrahmen. Elender Kopist. Martin konnte nichts machen. Es war grausam. Aber er würde einen Weg finden, sich ins Brainstorming zu schleichen. Er würde beiläufig ein paar Sätze zu NIWRAD verlieren, die Runde würde nur die Hälfte kapieren, aber andächtig schweigen. PR-Trottel halt. Und er konnte sich beruhigt in die nächsten vier Wochen verziehen. Gleich nach der Kinder-Abwurf-Tour würde er im Büro anrufen.
    Martin wurde übel, als er ans Frühstück dachte. Seit zwei Monaten war Dorothea auf dem Jentschura-Trip. Sie hatte Schüßler-Salze ausprobiert, nach Farben gegessen und jede Diät durchlitten, die die Brigitte je verordnet hatte, sofern sie nicht auf dem Atkins -Trip war, der auch nicht viel anders funktionierte als Trennkost oder Montignac . Nur eines hatte sie nie versucht: einfach nur mal ganz normal zu essen.
    Martin fand die Ernährungsexperimente seiner Gattin durchaus interessant. Relativ solidarisch absolvierte er die Programme mit, jedenfalls solange Dorothea in der Nähe war. Kaum war sie aus dem Haus, holte er sich erst einmal einen Negerkuss aus dem Versteck hinter den Büchern oder saure Pommes, deren Geruch allein seine Speichelproduktion verdreifachten.
    Während sich seine Frau mit jedem neuen Trip einbildete,
jünger, schöner, frischer zu sein, fühlte Martin sich durchgehend gleich: müde und aufgeregt, gestresst und gelangweilt, halbwegs erfüllt und völlig leer. Den einzigen Unterschied, den Dorotheas jeweilige Ess-Philosophie bei ihm machte, war der Geruch seiner Fürze. Alles Eiweißlastige roch besonders giftig.
    Die Jentschura -Methode schwang, wie immer, im Einklang mit der Natur, ganzheitlich und glutenfrei. Der Apotheker Peter Jentschura, der sich gern als »letzten Druiden« bezeichnen ließ, präsentierte zum hundertsten Mal die alte Säure-Basen-Geschichte. Die zog immer beim modernen Menschen, der auch ohne saure Pommes unter permanentem Sodbrennen litt.
    Dorothea verordnete der Familie nun also Wurzelkraft . Das Zeug sah aus wie die Krümel auf der Kehrschaufel, wenn man nach fünfzehn Jahren erstmals wieder hinter dem Kühlschrank gefegt hatte. Diesen »omni-molekularen« Streu konnte man überall einrühren, zum Beispiel in den Pflichtfrühstücksbrei MorgenStund , auf Hirse- und Kürbiskernbasis. Otto, durchs Heimlich-Essen bei Oma deutlich aufgeschwemmt, meuterte jeden Morgen, Martin

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