Der Vollzeitmann
Weitem konnte Martin den »Kinderschänder« erkennen, so nannte er den Typen, der meistens vormittags im Schwimmbad herumlungerte und irgendwie höchst verdächtig wirkte. Wabbelig und käsig war er, undefinierbaren Alters, trug eine unvorteilhafte Beutel-Badehose und plantschte alle paar Minuten im Nichtschwimmerbecken herum. Oder stand einfach am Rand, den Blick scheinbar in die Ferne gerichtet. Danach würde er dann in der Umkleide
verschwinden und sich einen runterholen, da war Martin sich sicher. Martin ließ seinen Sohn keine Sekunde aus den Augen.
Martin checkte noch mal sein iPhone . Immer noch keine neue Rückmeldung aus der Agentur. Vielleicht hatten sich die lieben Kollegen verabredet, dass sie ihn nicht dabeihaben wollten. Ging ja schnell so was, diese Eigendynamiken innerhalb einer hierarchischen Funktionsgemeinschaft hielt man nicht auf. Kaum war er ein paar Wochen nicht da, stellte man fest, dass es ohne ihn ginge, womöglich nicht mal schlechter. Martin hatte Angst, dass er nicht einmal merkte, wie er wegrationalisiert, weggemobbt, entsorgt wurde. War den Kollegen so viel Bösartigkeit zuzutrauen? Aber klar doch. Vor allem den jungen Frauen. Das waren Killerinnen, allesamt. Eiskalt.
Maiks Handy vibrierte - eine SMS von Ulrike. »Habe bei Ebay einen tollen Sportanzug von Stella McCartney gefunden - soll ich den kaufen?« Maik wunderte sich, dass es Designer-Klamotten jetzt auch in Ulrikes Größe gab, und stellte sich schon mal darauf ein, den Karton mit dem aufgeklebten Rücksendeschein eines nahen Morgens mit zur Post zu nehmen. »Klar«, smste er zurück.
Er hatte seinen Dienstwagen, den grünen Nissan Patrol, in sein Lieblingsversteck manövriert, eine kleine unscheinbare Einfahrt am Waldparkplatz, nicht einzusehen von der Straße, kaum beachtet von Spaziergängern und Hundeführern. Hier hatte er viele Stunden seines Lebens verbracht, schlafend, lesend, denkend. Oft zog er die Laufklamotten an, die er immer hinten im Kofferraum liegen hatte, und trabte einfach eine Stunde durch den Wald. Inzwischen
allein, nicht mehr mit Fee, aber an sie wollte er jetzt lieber nicht denken. Es tat zu weh.
Maik schloss die Augen. Er war auf einem guten Weg. Seit einem halben Jahr zweigte er jeden Monat unauffällig fünfhundert Euro in bar ab. Machte sechstausend Euro pro Jahr, wenn es so gut weiterlief wie bisher. In sechs, acht, zehn Jahren, wenn die Kinder aus dem Gröbsten raus waren, könnte er den Plan seines Lebens umsetzen: einfach noch mal ganz neu anfangen, allein, in Südamerika oder Asien. Wenn er sein Ableben einigermaßen schlau inszenierte, würde die Lebensversicherung Ulrike eine hübsche Summe zahlen, außerdem hatten ihre Eltern Geld genug. Niemand würde ihm lange hinterhertrauern. Maik schloss die Augen.
Lars hockte an seinem Schreibtisch, rauchte, spielte Tetris und arbeitete seinen SMS-Speicher ab. Ein gutes Dutzend Frauen wollte bespielt werden. Tanja brauchte etwas Knappes, nicht zu Nettes. Eva ging ihm schon seit Wochen auf die Nerven - gar keine Antwort.
Doro war ein tiefes Wasser. Anfangs erschien sie ihm sterbenslangweilig, aber die Nächte mit ihr waren sensationell gewesen. Zeit für eine Neuauflage. Die Frau machte Yoga oder Tai-Chi oder weiß der Teufel welchen Verrenkungssport, und so ein Spagat eröffnete ja völlig neue Perspektiven.
Lars fühlte sich ja selten körperlich unterlegen, aber bei Doro kam ihm doch der Gedanke, wieder regelmäßiger Eisen zu stemmen. Heute Nachmittag würde er noch ins Gym gehen, nur für Doro. »Muskelkater weg. Fühle mich fit für die nächste Runde …«, würde er Doro smsen. Das war lustig und direkt.
Besonders lästig war Erika. Sie schmeckte wie ein Yak. Lars traf sich nur mal mit ihr, weil er Panik schob vor ihren Trennungsarien. Sie hatte Balkanblut in den Adern und wollte sich wegen jeder Kleinigkeit umbringen. Lars antwortete ihr trotzdem nicht.
Er wartete auf sein Gespräch beim Chef. Ganz wohl war ihm nicht. In den acht Jahren bei seiner Firma hatte Lars sehr genau kapiert, was wirklich wichtig war. Eigentlich gab es nur drei wesentliche Punkte: Erstens mussten seine Zahlen am Jahresende halbwegs stimmen; auch der netteste Kerl konnte schwindenden Umsatz nicht lange erklären. In den letzten beiden Jahren war er bei seinen Abschlüssen leider nicht mehr ganz so erfolgreich gewesen wie früher. Zweitens durfte er das Betriebsklima nicht wesentlich beeinträchtigen; kein Chef mochte Unruhe. Einer, der jede Praktikantin
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