Der Vollzeitmann
Kumpels war. Aber er musste vor dieser gespenstischen Redaktionskonferenz unbedingt noch drei Stunden Akquise schaffen. Sonst wäre er den neuen Job gleich wieder los, um den er so gekämpft hatte.
Auf Teilzeitbasis arbeitete Jochen in der ambulanten Finanzdienstleistungs-Branche. Er versuchte, Kunden für platinfarbene Kreditkarten zu gewinnen, allerdings nicht am Flughafen wie die meisten seiner Kollegen. Seine Firma hatte sich auf Straßencafés, Bars und Lounges spezialisiert. Jochen musste auch gar nicht aggressiv werben, sondern saß ganz still an einem mit Bedacht gewählten Platz, nicht allzu zentral, aber dennoch gut einsehbar, spielte an dem ihm zur Verfügung gestellten iPhone , das ein platinfarbenes »P« unter dem Apfel trug und las in einer Zeitschrift, die dasselbe »P« auf der Titelseite trug und die riesige Zeile » iPhone kostenlos«.
So funktionierte modernes Marketing. Denn nach spätestens zehn Minuten hatte ihn irgendjemand angesprochen. Diese label-versessene Caféhaus-Bande wollte natürlich wissen, was es mit dem »P« auf sich hatte und wie man an das kostenlose iPhone kam. Und schon konnte Jochen loslegen. Er referierte dann eher beiläufig über den P-Klub,
eine Vorteilsgemeinschaft für High Potentials: Handys, Reisen, Computer, Zeitschriftenabos, Telefonverträge, alles gab es billiger. Es dürfe leider nicht jeder mitmachen, log Jochen, aber er könne ein gutes Wort einlegen, wenn derjenige jetzt sofort den Kreditkartenantrag in der Zeitschrift unterschriebe. Ungefähr die Hälfte verzog sich umgehend, von den Restlichen unterschrieb etwa jeder Dritte.
»Jeder Mann brauchte ein Markenzeichen.«
Wenn Jochen zehn Verträge in den nächsten vierzehn Tagen schaffte, würde er dreihundertzwanzig Euro bekommen und den Status eines Senior Sellers. Die Aufstiegsmöglichkeiten bei »P« waren enorm. Endlich könnte er den Job an der Tanke drangeben.
Jochen hatte sich im Ausverkauf extra einen neuen Anzug gekauft. Das kräftige Braun sah unwiderstehlich nach Erfolg aus. Kakao und Schokolade seien ja die Trend-Themen schlechthin, hatte die Verkäuferin gesagt; und die Hose würde sich bestimmt noch ein wenig weiten nach zwei, drei Mal Tragen. War halt reduzierte Ware, ein echtes Schnäppchen. Jochen kaufte. Den Anzug würde er auch bei den Preisverleihungen für Beyond Cool tragen können, wenn er noch etwas abnahm.
Früher war Jochen mal Punk gewesen, hatte sich in seiner richtig harten Phase dann an den Hools orientiert, um seiner damaligen Flamme Bianca zuliebe dann auf Gothic-Wave zu schwenken. Jochen war stolz, sich bis heute weder Piercings noch Tattoos angetan zu haben. Die wirklich coolen Typen waren ihrem unversehrten Körper immer treu geblieben, und er obendrein seinem Kapuzen-Pullover, der
unter dem braunen Anzug zwar ein wenig auftrug, ihm aber zugleich eine unverwechselbare Note verlieh: edel und lässig. Jeder Mann brauchte ein Markenzeichen.
Maik hatte noch mal im Büro angerufen und sich abgemeldet. Er würde noch zwei Kunden besuchen und den Fortschritt der Arbeiten dort kontrollieren. Lehmann war immer noch nicht aufgetaucht. Wenn er den Dachterrassen-Job für ein Jahr bekäme, hätte er seinen eigenen Monatslohn reingeholt, und zwar in einer guten halben Stunde. Faszinierend, wie scheißegal dieser Frau ihre Pflanzen in Wirklichkeit waren, wie scheißegal ihr Geld war, wie scheißegal ihr ihr Leben war. Alles was sie wollte, war was zum Angeben. Und ein schnörkelloser Fick. Damit konnte er dienen, zur Not sogar ein Jahr lang, auch wenn sie nicht übermäßig engagiert war, sondern Männer vor allem als Dienstleister zu betrachten schien, die ihr Vergnügen zu bereiten hatten.
Den Kostenvoranschlag und ein paar eindrucksvolle Zeichnungen würde er morgen machen - die Details waren eh egal, musste nur eindrucksvoll aussehen.
Seine erste Frau hatte früher viel zu viel Liebe für die Zeichnungen aufgewendet, mit echter Tusche und noch mehr Herzblut. Sie hatte das neue Deutschland nie verstanden. Sie dachte immer, es ginge um die Sache, um wirklich tolle Gärten, um echte Kreativität, um Innerstes nach außen, so wie man sich in der DDR den Westen, abgesehen von dem ganzen Konsumterror, früher mal vorgestellt hatte - als das wahrere Land. Alles Quatsch. Die Blenderei war nur deutlich professioneller inszeniert.
Maik hatte lange versucht, seiner ersten Frau diese brutale Wahrheit beizubringen. Gemeinsam hätten sie die Gartenbaufirma
nach vorn bekommen, klein,
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