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Der Vollzeitmann

Titel: Der Vollzeitmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Achilles
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exklusiv und immer noch näher dran am Ideal als alles andere. Aber sie wollte sich mit Kompromissen nicht abfinden. Sie wollte auch nicht bei Chefarzt-Gattinnen auf dem Sofa sitzen und gehorsam Skizzen anfertigen. West-Frauen mit Versace -Gehabe machten seiner ersten Frau Angst. Sie fühlte sich einerseits nichts wert, aber andererseits meilenweit überlegen. Sie hatte es leider nie geschafft, Distanz zwischen sich und diese ondulierten Elsen zu legen. Sie war in ihre Innenwelt geflohen, immer weiter, tiefer, länger. Wochenlang verbarrikadierte sie sich auf der Datsche am See, duschte nicht mehr, verzottelte und fiel in anhaltendes Schweigen. Sie starrte stundenlang auf das Herbstwasser, während Maik um die Firma kämpfte. Er verstand viel von Gartenarchitektur, aber zu wenig von Betriebsführung.
    Nach zwei Jahren war alles zu viel geworden: ihre Depression, die Vorwürfe ihrer Familie, die Schulden, die falschen Freunde, das ganze Leben. Zum Glück waren keine Kinder im Spiel.
    »Wenn er überhaupt was vom Westen kapiert hatte, dann eines: Es ging um ihn, um nichts anderes.«
    Maik tat, was er immer in solchen Momenten tat: Er floh. Eine Woche lang tauchte er ab, niemand wusste, wo er war. Ging auch keinen was an. Wenn er überhaupt was vom Westen kapiert hatte, dann eines: Es ging um ihn, um nichts anderes. Das hatte weniger mit Egoismus zu tun, wie er im Osten noch geglaubt hatte, sondern vielmehr mit Rücksicht. Erst wenn er sein eigenes Zentrum, seine Bestimmung,
seine Richtung gefunden hatte, konnte er auch für andere nützlich sein.
    Aber wie fand man sich mit all dem täglichen Nervkram ab? Gar nicht. Also hatte Maik sich ins Auto gesetzt und war in die Eifel gefahren, zu einem Indianer-Workshop, mit Grenzerfahrungen allein im Wald, in bestialischen Schwitzhütten und in schlaflosen Nächten, wo man zuerst einmal Handy, Uhr, Geld, alles abgenommen bekam. Diese Erleichterung war genau das, was er brauchte. Atmen, denken, frei sein - mehr nicht. Mehr als peinlich konnte es nicht werden.
    »Self respect«, hatte der Schamane gesagt, darum drehe sich alles. Zuerst müsse er sich selbst akzeptieren und den Satz »Ich liebe mich« ganz selbstverständlich denken und sprechen. Maik versuchte es. Es klang seltsam. Er dürfte sich jetzt nicht zum Idioten machen, hatte der Schamane gesagt, er sei der Held in seiner Story: Er war der Häuptling. »Häuptling Cooler Panther« - diesen Namen hatte er sich selbst gegeben, nach Stunden in der Schwitzhütte, als er kurz davor war, das Bewusstsein zu verlieren.
    Genau in diesem Moment sei er neu geboren worden, hatte der Schamane gesagt, er habe Erleuchtung erfahren.
    Maik war nicht ganz sicher, ob sich Erleuchtungen so anfühlten. Ihm war eher schlecht gewesen. Egal, immerhin konnte er fortan sein neues Geheimwissen anwenden: Was würde Häuptling Cooler Panther in dieser Lage tun? Das war die Frage, die er sich seither in jeder Lebenslage zuerst stellte. Die Widersprüche, die ihn solange gequält hatten, waren plötzlich weg. Denn Häuptling Cooler Panther konnte zugleich Verantwortung für seine Familie übernehmen, sich aber dennoch jeder Squaw bedienen. Niemand hatte dem Häuptling zu sagen, was er zu tun oder zu lassen hatte.
    »Häuptling Cooler Panther konnte zugleich Verantwortung für seine Familie übernehmen, sich aber dennoch jeder Squaw bedienen.«

    Norbert sabberte Pastinakenbrei auf Martins Hemd. Offenbar hatte der Kleine doch etwas zu viel Wasser beim integrativen Babyschwimmen geschluckt. Und jetzt reierte der Zwerg ihm ausgerechnet auf dem Laufsteg die teure Vintage-Kapuzenjacke voll, mitten im Straßencafé. Laufsteg, das war der Platz in Berlin-Mitte, auf dem angeblich Deutschlands höchste Baby-Dichte herrschte. Die Türken donnerten mit ihren tiefergelegten BMWs über den Kudamm, die deutschen Neo-Spießer führten hier ihren Nachwuchs inklusive Zubehör vor. Sie wohnten zwar im Westen, aber zum Kinder-Contest kam Martin gern hierher.
    Norbert mochte keinen Pastinakenbrei. Martin wusste auch gar nicht, was Pastinaken sein sollten - er stellte sich eine von glücklichen Indios mit der Hand ausgebuddelte Kartoffelart vor. Nicht lecker, aber total gut für alle. Wer jemals Pastinakenbrei probiert hatte, der wusste, wie gut die eigene Kotze schmeckte.
    Auf dem Laufsteg war nichts weniger angesagt, als dem Kind einen ordinären Alete -Brei zu verabreichen. Es ging nicht um das Wohl der Kinder, sondern um das Wohlbefinden der Eltern. Und die waren nur

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