Bücher online kostenlos Kostenlos Online Lesen

Der Vollzeitmann

Titel: Der Vollzeitmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Achim Achilles
Vom Netzwerk:
es offenbar geschafft hatte: Er konnte sich einen Nachmittag im Café leisten, zugleich brachte er die Disziplin auf, schon morgens früh zu trainieren. Wahrscheinlich besaß er eine Dachgeschosswohnung und darin einen unglaublichen Feger von Frau. Jochen überlegte, ob er diesem Mann eine Mitgliedschaft im P-Klub antragen sollte? Lieber nicht. Der Kerl war alles, aber kein Schnäppchenjäger.

    Sein Leben lang hatte Jochen solche Typen verachtet. Inzwischen allerdings sah er deutliche Vorteile von Geld und Erfolg. Was hatte er davon, dass er fast mal ein Millionen-Unternehmen gegründet hätte und deswegen in bestimmten Kreisen noch immer einen legendären Ruf genoss? Was hatte er davon, dass er sich mit Pink Floyd auskannte wie kaum ein anderer, dass er wusste, was Syd Garrett 1965 in St. Tropez getrieben hatte und wie die Science-Fiction-Hörbilder »Astronomy Domine« oder »Interstellar Overdrive« entstanden waren.
    Fakt war: Er musste an der Tanke arbeiten, um über die Runden zu kommen, er musste sich als Drücker verdingen, er aß wie vor zwanzig Jahren kalte Ravioli mit zerbröselten Erdnussflips. Nur an guten Tagen hatte er auch eine Scheiblette, die er obenauflegen konnte. Jetzt war auch noch Bretti weg. Und diese Radio-Stalinistin würde ihm heute Abend womöglich noch den letzten Rest Perspektive stehlen, wenn sie das revolutionäre Format von Beyond Cool killen würde.
    Wenn Jochen mal ganz ehrlich war zu sich, und das war er selten, dann hatte er ziemliche Angst vor der Zukunft. Er musste sein Leben ändern, hier und jetzt sofort. Jochen beschloss, nachher im Supermarkt einen Apfel zu kaufen und das Altpapier runterzubringen. Er würde sogar sein Bett beziehen, wenn er noch irgendwo ein frisches Laken fände. Und morgen würde er mit Laufen anfangen, so wie dieser La-Martina -Popper. Marathon, das war’s.
    Das würde auch seine neue Nachbarin beeindrucken, von der er sich neulich Spülmaschinentabs geliehen hatte, obwohl er gar keine Spülmaschine besaß. Aber er fand, dass Fernsehwerbung immer einen guten Anknüpfungspunkt für erste Gespräche bot. Leider war die Nachbarin gerade auf dem Sprung, wie sie sagte. Aber da ging was, das
spürte Jochen. Für die Nachbarin würde er eine Ausnahme machen mit dem Frauenverachtungsgelübde.

15 UHR

    Dieser Jochen war ja eine seltsame Type. Maik hatte fast vor dem Café geparkt. Degenerierte Wohlstands-Kids hatten seinen Geländewagen stumm bestaunt. Und dieser Jochen hatte vor einem leeren Cola-Glas gesessen und so getan, als ob er ein Bohemien sei. Maik roch zehn Meter gegen den Wind, dass der Kerl voller Komplexe und Probleme steckte. Wer nachts auf der Tanke Schichten schob und tagsüber in einem schlecht sitzenden Anzug in einem Café lungerte, der führte ein Leben in Unordnung. Aber immerhin war er ein korrekter Typ, der ihn mit seinem Anruf bei Ulrike aus höchster Not gerettet hatte. Echte Kerle fragten nicht lange, sondern spielten mit. Maik bedankte sich noch einmal, drückte Jochen noch einen Zwanziger in die Hand und ging zurück zu seinem Auto.
    »Echte Kerle fragten nicht lange, sondern spielten mit.«
    Es gab nichts mehr zu reden. Der Coole Panther machte keine überflüssigen Worte.
    »Hast du dein Portemonnaie wieder?«, hatte Ulrike gesmst. »Ja«, antwortete Maik. Wenn seine Frau die demonstrative Kürze seiner SMS zu deuten verstand, dann müsste sie eigentlich kapieren, dass er keine Lust hatte, permanent Banalitäten durch die Gegend zu schicken, zumal er ohnehin schon auf dem Weg nach Hause war. Das Fußballtraining von Henry war ein heiliger Termin, ein symbolischer Akt, ein Ritual, von dessen sklavischer Einhaltung der
gesamte Familienfrieden inklusive Ulrikes Wochenlaune abhing. Erfüllte Maik diese Pflicht, war alles im Lot.
    Maik lenkte den Wagen auf die Autobahn stadtauswärts nach Reihenhausen, das unglaublich praktische Endlager für einst lebensfrohe Zeitgenossen. Er hatte das Gefühl, dass sich sein Herzschlag verlangsamte, die Bluttemperatur sank, seine Reflexe einfroren und sich das Denken nur noch auf zwei, drei Themen konzentrierte: Wie geht es den Kindern? Was sollen die Nachbarn denken? Was schaffen wir uns als Nächstes an?
    Ein schwerer Laster vor ihm bremste abrupt. Maik tippte lässig auf die Bremse. Er schnallte sich nie an. Dann konnte er ja gleich einen Helm zum Fahrradfahren aufsetzen, so wie all die anderen schwanzlosen Lurche in seinerSiedlung. Maik überlegte, was wohl geschehen würde, wenn er genau jetzt

Weitere Kostenlose Bücher