Der Wachsmann
Alte wand. Jetzt war er es, der sich zu rechtfertigen versuchte. Peter mußte den Vorteil nutzen und stieß daher nach. »Verzeiht meine ungebührliche Neugier, aber war es etwa hier, wo der Verruchte…«
»Äh, ja, doch was kümmert’s Euch«, entgegnete Pütrich barsch.
»Oh, nicht, nichts! Ich dachte nur, welch frevelhafte Tat in diesem wunderschönen Raum. Und dieses kostbare Schränkchen. Der Dieb muß es arg beschädigt haben. Es war doch…«
»Jaja, schon gut, dem Schränkchen ist nicht viel geschehen.« Der Kaufmann wurde sichtlich unruhig.
»Aber dann hattet Ihr ja Gott sei Dank noch Glück. Bewahrt Ihr all Eure Geschäftsunterlagen hier auf?«
»Zum Teil. Aber das reicht jetzt. Ich bin sehr beschäftigt, und wenn es sonst nichts gibt…«
»O nein, natürlich.« Peter machte eine entschuldigende Geste und leitete den Rückzug ein. »Ich mische mich in Dinge, die mir nicht zukommen. Aber Ihr gebt uns also die Aufstellung?« Und mit treuherzigem Blick fuhr er fort: »Ich wußte, daß Ihr ein Ehrenmann seid, und…«
»Gut, gut, gut!« unterbrach Pütrich gereizt. »Ich werde meinen Schreiber anweisen, und nun wünsche ich einen guten Tag.« Er erhob sich, öffnete eigenhändig die Türe und wies nach draußen.
Peter unterließ es wohlweislich, auch noch die selige Tante ins Feld zu führen. Er schob Paul vor sich her, während er überschwenglich dankte, sich mehrfach verneigte und noch beim Hinausgehen die Güte des Kaufmanns pries.
»Oh, eine Kleinigkeit noch.«
Peter drehte sich auf der obersten Stiege um und hielt dem Kaufmann unversehens den zweiten Zettel mit den Psalmversen unter die Nase.
»Habt Ihr dies vielleicht schon einmal irgendwo gesehen?«
Pütrich starrte darauf und schien merklich bleicher zu werden.
»Wo… wo habt Ihr das her?«
»Es gehörte dem Peitinger«, sagte Peter beiläufig. »Und da Ihr mit ihm gut bekannt wart… nun, ich dachte eben…« Er zuckte mit den Schultern, drehte sich abrupt um und stieg die Stufen hinunter.
Kaum wieder auf der Straße, ließ Paul seinem Unmut freien Lauf: »Was hast du dir nur dabei gedacht«, grollte er, »daß du dem Kerl da Zahlung und Wiedergutmachung anbietest? Von mir bekommt der nicht den Dreck unterm Fingernagel. Ha! Wenn erst die Flößer diesen Blödsinn hören, prügeln sie dich windelweich, und ich schneid’ ihnen noch die Stöcke dafür!«
»Paul, versteh doch!«
»Was gibt’s da zu verstehen? Der Jakob wird sich im Grab umdrehen, und der Peitinger wiehert in der Hölle über deine Torheit«, schimpfte Paul weiter, während er sich seinen Weg durch das Gedränge am Rindermarkt bahnte.
»O Herr im Himmel!« stöhnte Peter. »Ist dir denn nicht aufgefallen, wie unsicher der Pütrich auf einmal wurde?«
Er faßte den Freund am Arm und hielt ihn kurz fest. »Erinnere dich doch, wie der Kaufmann ins Zimmer stürzte, auf das Schränkchen zulief und es hastig verschloß. Du hättest sehen sollen, was ich gesehen habe!«
»Und was zum Teufel war das?« fragte Paul mißmutig.
»Ich weiß nicht. Es sah aus wie eine runzelige Puppe.«
»Vielleicht bewahrt er Erinnerungen aus Kindertagen auf und will dabei nicht ertappt werden. Was ist daran seltsam?«
Paul entwand sich dem Griff seines Freundes, ging weiter und bog in den Kirchhof von St. Peter ein.
»Nun, die Art, in der es geschah«, rief Peter hinterher und folgte dem Davonstürmenden. »Er schien vielmehr erschrocken und fahrig, nicht etwa peinlich berührt. So, als hätte er etwas zu verbergen. Und ähnlich war’s, als ich ihm auf der Treppe noch den zweiten Psalm zeigte.«
»Du hast was gezeigt?«
»Den Psalmtext. Wieso?«
»Oje!« stöhnte Paul. »Den einen verliert er, den anderen zeigt er einfach so mir nichts dir nichts herum. Wenn er nun tatsächlich von dem Alten stammt, dann ist der damit doch gewarnt. Was bist du nur für ein Esel?«
»Ich will’s dir sagen«, erwiderte der Gescholtene lachend. Er schien keineswegs beleidigt zu sein, eher schon amüsiert über Pauls Unverständnis. Währenddessen verließen sie den Kirchhof, gingen zur Gasse beim Spital hinab, passierten dort die Fleischbänke, vor denen sich ein Rudel wilder Hunde um blutiges Gekröse balgte, und kamen schließlich zur Einmündung ins Tal.
»Ich hatte gehofft«, rechtfertigte sich Peter, »daß uns der Pütrich etwas Schriftliches gibt. Wir hätten dann seine Schrift mit den Texten vergleichen können. Aber der alte Fuchs ist ausgewichen. Er ist schlau. Da dachte ich, es kann nicht
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