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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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Freundes war ihm gleichwohl nicht geheuer. Der tätschelte ihm den Wanst und forderte ihn lachend auf. »Los, Dicker, auf in die Schlacht!«
    Paul war gekommen, um den Heißsporn wie gewohnt zur Arbeit abzuholen. Er zog die linke Augenbraue hoch und fragte mißtrauisch: »Wohin soll’s denn gehen?«
    »Na, zum Pütrich. Wohin sonst?« war die kecke Antwort.
    »Wohin sonst?« äffte Paul nach. »Zur Lände natürlich, du Schafskopf. Du weißt, wir sind allein und haben viel zu tun.«
    »Laß nur!« wiegelte Peter ab. »Ich hab’ den Perchtold geschickt, um Bescheid zu sagen, daß wir etwas später kommen. Und erinnere dich nur, wie du selbst versprochen hast, den Mörder von Jakob zu finden.«
    Peter schob Paul entschlossen auf die Gasse hinaus.
    Auf dem Weg durchs Tal und über den schon recht belebten Marktplatz suchte Paul nach Ausflüchten. »Aber wir sind doch gar nicht angemeldet.«
    »Macht nichts. Überraschung ist manchmal gut. Das gehört zu meinem Plan.«
    »Der Kaufmann schläft wahrscheinlich noch.«
    »Ach was. Kaufleute jagen zu jeder Stunde dem Mammon nach. Der hat schon wieder einen Beutel Pfennige verdient, ehe du dich noch einmal umdrehst auf deinem Strohsack.«
    »Und was willst du sagen, falls wir wider Erwarten und gegen besseren Rat tatsächlich Einlaß finden?«
    »Laß mich nur machen.«
    Paul fügte sich ins Unvermeidliche und als sie beim Hamel, dem Eckhaus, in dem es von Schustern, Taschnern und Gürtlern nur so wimmelte, in die Rosengasse einbogen, da konnten sie schon von weitem des Pütrichs Haus sehen. Es glich eigentlich mehr einer Burg. Die Front bildete eine wuchtige Vorsatzmauer mit abgeflachtem Treppengiebel, hinter der das Dach gar nicht zu sehen war. Die Fassade wurde durch zwei Flacherker ein wenig aufgelockert. Daran schloß sich straßenseitig eine hohe, zinnenbewehrte Mauer an, die in leichtem Bogen bis zum inneren Sendlinger Tor führte und nur wenige Fenster aufwies. Der Turm des alten Stadttores klebte wie ein Burgfried an der Kaufmannsfestung.
    »Mit Kettenhemd und einem Schwert in der Hand würde ich mich wohler fühlen«, knurrte Paul, als sie vor dem trutzigen Gemäuer standen.
    Eine kleinere Tür und ein großflügeliges Tor, das vermutlich in den Hof führte, verhießen Einlaß. Peter klopfte, doch es rührte sich eine ganze Weile nichts.
    »Wie ich sagte«, winkte Paul ab. »Schlafen alle noch. Laß uns gehen!«
    Er machte auf dem Absatz kehrt, und Peter erwischte ihn gerade noch am Ärmel.
    »Nun warte doch! Du weißt doch, daß der alte Anselm ziemlich taub ist.«
    Peter klopfte erneut und diesmal etwas heftiger. Als sich wieder niemand zeigte, trat er auf das Hoftor zu, um zu prüfen, ob es verschlossen war. Es war nur angelehnt und schwang mit leisem Knarzen auf, als Peter dagegen drückte. Paul konnte ihn nicht davon abhalten, einzutreten.
    »Ist hier jemand?«
    Sie standen in einem weiten, von Spitzbögen überwölbten Hausflur, der rückwärtig in den Hof mündete. Zur Rechten gingen ein paar Kammern ab, von denen eine vermutlich dem schwerhörigen Diener gehörte. Linksseitig führte ein schmaler Mauerdurchbruch in das Stiegenhaus, das man normalerweise direkt durch die kleinere Haustür betrat. Peter ging darauf zu, und als er vorsichtig um die Ecke spähte, blieb ihm vor Staunen der Mund offenstehen. Die Stiege schien geradewegs in die Unendlichkeit zu führen. Schnurgerade und gefährlich steil verlief sie bis zum Dachboden, nur jeweils bei den einzelnen Geschossen von schmalen Zwischenpodesten unterbrochen. Peter fühlte sich an das erste Buch Mose erinnert, an die Geschichte von Jakob, dem Sohn Isaaks. Als der eines Tages von Beerseba nach Charan reiste und unterwegs sein Haupt auf einem Stein zur Ruhe bettete, da erschien ihm im Traum eine Leiter, die zwar auf der Erde stand, deren Spitze aber den Himmel berührte. Und auf der Leiter stiegen Engel auf und nieder und ganz oben stand Gott, der Herr.
    Und siehe da – Peter schien seinen Augen nicht zu trauen –, in luftiger Höhe schwebte soeben eine engelsgleiche Gestalt vorüber. Kaum, daß er sie richtig wahrnahm: Ein zierliches Wesen, goldgelockt und in langem, blütenweißem Hemd.
    Und plötzlich kehrte der Engel zurück. Er trug jetzt einen nachtblauen Überwurf, wandte den Kopf, blickte herab und richtete das Wort an sie.
    »Kann ich Euch behilflich sein, werte Herren?« fragte eine samtene Stimme.
    Jetzt glotzte auch Paul. Das war ungleich mehr, als er erwartet hatte.
    »Sakrament, was für

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