Der Wachsmann
stichelte: »Man sagt ja auch, daß die Glatzköpfigen von kalter Natur und nur geringer Fruchtbarkeit seien.«
»Dann hast du wohl nichts zu befürchten«, lachte Paul und zerzauste dem Spötter genüßlich die jugendliche Haarpracht. »Und die Agnes wird’s auch freuen.«
Die Floßleute waren es ja gewohnt. Aber von den Aufkäufern und Händlern wunderten sich doch einige, als die Pfleger Knoll und Barth nach all den Vorkommnissen lachend und übermütig zur Lände kamen.
Peter ging an diesem Tag etwas früher nach Hause, um vor dem Wachdienst noch ein wenig zu ruhen. Agnes trug ihm ein reichliches Nachtmahl auf und beim Läuten der Abendglocke, das die Schließung der Tore kündete, fand Peter sich in der Wachstube des Kaltenbachtores ein. Er hatte seinen eigenen Dolch schon mitgebracht und wählte in der Waffenkammer nur noch den ledernen Harnisch und den langen Spieß aus. Solchermaßen gerüstet bestieg er den Wehrgang, um seine Bürgerpflicht zu erfüllen. Die wenigsten rissen sich tatsächlich um diesen Dienst, und viele der Reichen und Vornehmen galten ihre Pflicht auch längst mit Geld ab. Trotzdem empfanden die meisten Bürger Zufriedenheit darüber, daß sie den verantwortungsvollen Wachdienst nicht irgendwelchen fremden Söldnern überließen, sondern eigenhändig ihr Hab und Gut schützten.
Peter mochte diese lauen Sommernächte, und da im allgemeinen die Stadt so friedlich dalag, wie die schlafenden Jünger am Ölberg, konnte er sich ausgiebig seinen Gedanken hingeben, während er die Runde machte. Außer in Kriegszeiten war von außen ohnehin kaum Gefahr zu erwarten. So galt die Aufmerksamkeit zuvörderst dem Frieden im Inneren, dessen größte Bedrohung noch allemal der Feuerteufel war. Die Wehrgänger achteten daher ebenso wie der Türmer zu St. Peter darauf, ob sich irgendwo ungeahnter Rauch oder Feuerschein zeigte. In schöner, aber gefährlicher Eintracht, waren sowohl die bescheidenen Hütten wie die besseren Holzhäuser noch durchweg mit Schindeln oder Stroh gedeckt: dankbare Nahrung für jeden Funkenflug.
Peter hatte den Mauerabschnitt zu bewachen, der vom Tal bis zum Nebentor in der Graggenau reichte. Ein Teil dieser Befestigung war eigentlich schon wieder überholt, denn die Stadt hatte sich inzwischen noch weiter auf dem Grieß in Richtung Isar vorgeschoben. Doch dieser äußerste Teil mußte erst noch vollständig in den Mauerring eingegliedert werden, woran zur Zeit lebhaft gearbeitet wurde. Der Stadt zugewandt blickte Peter auf die erhabenen Schatten der Türme von St. Peter und Unserer Lieben Frau. In der Ferne ragten die steilen Dächer der Mendikantenkirchen in den Nachthimmel. Und nahe vor ihm erhob sich die alte Herzogsburg, jetzt künftige Residenz des Königs – seines Königs. Die Nächte auf den Mauern erinnerten Peter an seine Zeit auf der Burg zu Beigarten, und obwohl er mit keinem Gedanken dem ritterlichen Dienst nachtrauerte, erfüllte es ihn doch irgendwie mit Stolz, seinem König so nahe zu sein, einem Herrn freilich, der ihm bislang fremd geblieben war und den er nur aus Erzählungen kannte. Und diese waren durchaus zwiespältig, je nachdem, wie jemand zu Ludwig stand. Doch Peter verspürte Sympathie für ihn, und ihm war fast so, als kennte er ihn doch bereits. Zumindest schien er ihn zu verstehen, denn auch Peter lag in einem unseligen Zwist mit seinem Bruder und hatte dessen Ränke und Gier beim Kampf ums Erbe kennengelernt. Peter fühlte eine gewisse Verbundenheit mit diesem Ludwig, aber vor allem auch mit dieser Stadt, die ihm längst zur Heimat geworden war. Während die Alten schon häufig Klage darüber führten, daß immer mehr Fremde und Gesindel in die Stadt kämen, konnte Peter sich an manchen Tagen an dem schier endlos erscheinenden Strom von Menschen und Waren, die durch die Tore drängten, kaum satt sehen. Er liebte dieses lärmende Gewimmel und geschäftige Treiben, das marktschreierische Feilschen und herzhafte Streiten, das Aufeinanderprallen von Meinungen und Gefühlen unterschiedlichster Art. Und er schätzte ebenso die erhabene Feierlichkeit und prächtige Inszenierung geistlicher und weltlicher Festlichkeiten. Während den einen die Stadt wie das gepriesene Jerusalem, anderen wie die Hure Babylon erschien, hielt Peter den Ort für eine aufregende Mischung aus beidem. Dieses wohlgeordnete Tollhaus lag jetzt ruhig und verschlafen vor ihm. Nur die Hunde vollführten bisweilen ihr kläffendes Konzert. Vereinzelt meckerte eine Ziege, grunzte eine
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