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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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während des Essens eifrig Ausschau. Er hoffte und freute sich auf eine Begegnung mit Bruder Franziskus. Die beiden kannten sich von klein auf und hatten im Dreieck zwischen Isar und Loisach manchen Schabernack getrieben. Franziskus hatte es in seiner Klosterkarriere zum Amt des Cellerars gebracht, das er nun mit Leib und Seele ausfüllte. Der heilige Benedikt hatte um die Fallstricke auf dem Weg zu innerer Läuterung wohl gewußt und daher in seiner Regel vorgeschrieben, der Inhaber dieses Amtes dürfe nicht überheblichen Wesens und nicht der Eß- und Trunksucht verfallen sein, dürfe nicht knausern, aber auch nicht verschwenderisch sein. Franziskus bemühte sich nach Kräften um die Einhaltung der Regel. Doch wer vermag stets einem hohen Ideal gerecht zu werden, es sei denn, er wandle schon zu Lebzeiten auf dem schmalen Pfad der Heiligkeit.
    Und so hatte das Cingulum, das über der gewaltigen Wölbung des Leibes den schwarzen Habit des Bendiktiners zusammenhielt, fast die Funktion eines eisernen Reifens. Würde Franziskus dereinst im Keller bei der Ausübung seines Amtes vom Schlag getroffen werden, dann konnte man ihn prima vista für ein umgefallenes Weinfaß halten und seiner Abwesenheit erst zur Komplet gewahr werden.
    Franziskus war es auch, der Jakob von den herrlichen Bildern in der Liedersammlung erzählt hatte. Sie war zwar selbst dem Mönch nicht offen zugänglich und aus wohlweislichen Gründen die meiste Zeit unter Verschluß gehalten. Aber eine Extraration Speck und Käse hatte ihm einmal einen kurzen Blick in die prächtige Handschrift beschert. Von all den feinen Zeichnungen, golddurchwirkten Initialen und bunten Rankenornamenten hatte sich ihm besonders eine Abbildung des großen Glücksrads nachhaltig eingeprägt. Göttin Fortuna thronte als Herrscherin im Zentrum eines mächtigen Rades und hielt dieses immerwährend in Schwung. Linksseitig wurden, an Rad und Speichen geklammert, Jünglinge und Männer nach oben getragen, wo die Gestalt eines Herrschers saß. Auf der rechten Seite ging es bereits wieder steil hinab, für manchen ein jäher Sturz. Und unten fiel eine Figur vom Rad, Opfer des wankelmütigen Glücks. Obwohl nie gesehen, kannte auch Jakob dieses Bild sehr genau, denn die Prediger schilderten es häufig in flammenden Reden, um damit Stolz und Hochmut der Menschheit zu geißeln und an die Vergänglichkeit zu erinnern: Sic transit gloria mundi! – So vergeht die Herrlichkeit der Welt!
    Wie viele Kaufleute, durch Wagemut, Glück und häufig auch Wucher zu Reichtum gelangt, wurden darob stolz und hartherzig und protzten schamlos mit ihren Gütern, um dann oft durch einen einzigen Mißerfolg oder die Laune Fortunas – die Prediger nannten es freilich Gottes Vorsehung und Strafe – alles wieder zu verlieren. Oder die jungen Männer, die im Dienste eines weltlichen Herrn durch Tapferkeit und Kühnheit aufstiegen und zu Ansehen und Ehren gelangten, die dann machtbesessen und grausam wurden und in ihrer Verblendung die mörderische Intrige übersahen, die sie ihren Platz und nicht selten auch das Leben kostete.
    Aber mit einem wie Jakob hatte dies nichts zu tun. Sein und aller kleiner Leute Leben verlief gleichförmig, eingebettet in den Rhythmus der Jahreszeiten und das Wechselspiel der Natur. Und doch, auch bescheidenes Dasein und Glück mochten ein jähes Ende erfahren. Wußte der Landmann im Frühjahr bei der Aussaat, ob er reiche Ernte einfahren oder ob ihm Blitz-und Hagelschlag Hunger bescheren würden? Wußte der Reisende, ob er wohlbehalten ans Ziel gelangen oder unterwegs den Räubern in die Hände fallen sollte? Und wußte schließlich Jakob, wenn er morgens frohgemut aufbrach, ob ihm nicht schon mittags ein nasses Grab beschieden sein würde? Nein, in dieser Hinsicht waren sie alle gleich: Ritter und Kaufmann, Handwerker und Bauer.
    »Ja, der Jakob, so eine Freud’. Gott zum Gruß!« schallte es plötzlich durchs Gästehaus.
    Der Flößer sah von seiner Suppe auf und schaute in das runde, gutmütige Gesicht von Bruder Franziskus, das durch die verantwortungsvolle Aufgabe des Weinkostens und die Anstrengung, die seine Leibesfülle mit sich brachte, kräftig gerötet war.
    »Ich hab’ schon befürchtet, heute wird’s nichts«, erwiderte Jakob, »und den knochigen Heiligen, den wollt’ ich nicht nach dir fragen.«
    Der Mönch lachte schallend, während er seine massige Gestalt auf die Bank fallen ließ. »Du meinst Bruder Tobias. Ja, der ist ein Muster an Pflichterfüllung und

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