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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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Traunstein und Tölz her Salz und andere Kostbarkeiten weiter ins Schwäbische transportierten, die Loisach überquerten. Normalerweise gab es dort eine Furt, aber in diesen regenreichen Tagen konnte man froh sein, wenn einen ein Fährmann für ein kleines Entgelt überholte. Oder man mußte warten, bis die Flut abgelaufen war. Jakob hatte Glück.
    Der Moorboden zu beiden Seiten des Weges war durch die Regenfälle und das Übertreten der Loisach noch feuchter und schlüpfriger geworden als gewöhnlich, und manchem Wanderer erschien das sumpfige Gelände nicht recht geheuer. Jakob spürte jetzt auch deutlich die Nachwirkungen des Bieres: Die Gedanken waren zwar erleichtert, die Beine dafür um so schwerer. Er summte ein fröhlich Lied vor sich hin und zog zielstrebig seines Weges, wobei er das lebhafte Spiel der Wolken aufmerksam beobachtete, die sich mittlerweile wieder ungestüm übereinander türmten, als müßten sie sich um die besten Plätze auf ihrer wilden Fahrt gen Osten raufen. Und nicht lange darauf gossen die eifrigsten zuvorderst auch schon ihr Wasser aus, um noch schneller und leichter im Wettstreit zu sein. Glücklicherweise unterließen sie es, ihren Spaß noch mit Blitz und Donner zu erhöhen, so daß Jakob sich einfach in seinen Mantel hüllte, den Hut fest in die Stirn zog und unverdrossen weitermarschierte.
    Am frühen Abend erreichte er das Murnauer Moos, und schon die zweite, schilfgedeckte Hütte erwies sich als die richtige. Seifried und seine Frau baten Jakob freundlich herein, wobei sie sich entschuldigten, daß sie ihm außer einem Strohlager und einer kargen Mahlzeit kaum etwas bieten konnten.
    Jakob überreichte mit Franziskus’ Segen das Tuch, das Seifried fast andächtig entknotete. Es enthielt einen Laib Brot, ein großes Stück Käse, eine dicke Scheibe Schinken, ein paar Lauchzwiebeln aus dem Klostergarten und getrocknete Äpfel. Das Paar bedankte sich überschwenglich und mit Kniefall, was Jakob peinlich war, und an ihren leuchtenden, tränenfeuchten Augen konnte er erkennen, daß sie lange keine solchen Reichtümer gesehen, geschweige denn gekostet hatten. Jetzt erst wurde Jakob der zwei dunklen Augenpaare gewahr, die die ganze Zeit schon staunend auf ihn gerichtet waren. Sie gehörten zwei kleinen Rotznasen, die sich gegenseitig versichernd an der Hand hielten und die so schwarz waren, als hätte man sie eben erst aus dem Torf gezogen.
    Angesichts der köstlichen Speisen legte die ganze Familie bald ihre scheue Zurückhaltung ab, und es wurde getafelt, als habe man den Kaiser zu Besuch.
    Außer einer Notration Talg hatte die Familie kein übriges Licht zu verbrennen, und bei Einbruch der Dunkelheit ließen sich daher alle auf dem Strohlager nieder, wo Jakob, rechtschaffen müde, auch sogleich einschlief.

2. Kapitel
     
    Im Morgengrauen erhoben sich die Erwachsenen, während die Kinder noch die Vorzüge ihres Akers genießen durften. Das Frühstück bestand nur aus Haferbrei und Wasser, doch Jakob war zufrieden, und kurz nach Tagesanbruch war er wieder unterwegs.
    Im Osten deutete sich mit kräftiger Rötung schon die Sonne an, und nur wenige Wolken verstellten ihren Arbeitsplatz. Schon bald nach seinem Aufbruch wechselte Jakob vom Hoheitsgebiet des Abtes von Benediktbeuern ins Werdenfelser Land, in dem der Bischof von Freising, genauer sein Vogt, die Gerichtsbarkeit ausübte. Drei stolze Burgen wachten über das obere Loisachtal: Die Schaumburg hoch über Ohlstadt, Burg Eschenlohe auf steilem Hügel über dem Dorf gleichen Namens und Burg Werdenfels nahe Farchant, die Ritter Marquard von Seefeld hütete.
    Je näher Jakob seinem Ziel kam, desto unsicherer wurde er in der Frage, ob er nicht doch besser auf Lies gehört hätte. Nicht wegen ihrer Ahnungen. Er versuchte tapfer, nicht abergläubisch zu sein. Auch nicht wegen des Wetters. Das Wasser des Flusses fiel bereits deutlich. Aber Lies sah die Dinge und Zusammenhänge manchmal einfach klarer, und er fragte sich jetzt, warum er so schnell eingewilligt hatte. Der Kaufmann Pütrich hatte vor ein paar Tagen bei ihm vorgesprochen und erklärt, eine große Ladung Welschwein sei unterwegs nach Scharnitz. Normalerweise würde man die Weinfässer dort aufs Floß umladen und die Isar herab nach München verbringen. Da aber die Isar durch die anhaltenden Regenfälle schon im Oberlauf zu einem reißenden Fluß angeschwollen sei, wagten es derzeit nicht einmal die erfahrenen Oberländer, die felsige Klamm bei Fall am Sulferstein zu

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