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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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wer mag dafür bürgen? Brüder und Schwestern, laßt euch nicht täuschen! Der Herr hat euch heimgesucht, ob eurer großen Vergehen! Und Er rächt auch die Schuld an euren Nachkommen, denn Böses gebiert Böses.«
    Während Agnes schwer atmete und nach Luft rang, redete sich der Mönch immer mehr in Rage: »So wie der heilige Paulus die Korinther ermahnte, so spricht er in der heutigen Lesung auch zu uns: Lasset uns nicht Unzucht treiben, wie unzählige von ihnen Unzucht getrieben haben, weshalb an einem einzigen Tag auch dreiundzwanzigtausend vernichtet wurden. Laßt uns den Herrn Christum nicht versuchen, wie es etliche von ihnen taten und dafür durch Schlangen oder den Würgeengel getötet wurden. All dies widerfuhr jenen als Zeichen, und uns wurde es zur Warnung aufgeschrieben.«
    Die Worte hallten wie Donner durch den weiten Kirchenraum. Einige bekreuzigten sich. Agnes wagte kaum, sich umzuschauen. Doch irgendwie war der Abstand zwischen ihr und den zunächst Stehenden kaum merklich größer geworden. Und der Mönch war noch lange nicht am Ende.
    »Wir feiern heute das Andenken der heiligen Martha. Der Martha, die dem Herrn ein Gastmahl bereitet hat. Ein Mahl ehrlichen Willkomms und demütiger Liebe, denn die Wirtin des Herrn war reinen Herzens. Doch seht euch nur um, Brüder und Schwestern, wie die Gaststätten unserer Tage zu Bruthöhlen des Lasters verkommen sind. Wirtsleute und Gäste fluchen um die Wette, mißachten die Gebote des Fastens und hohnlachen besoffen der heiligen Mutter Kirche und ihrer Diener. Die Weiber schminken sich grell die Lefzen und laden zur Unzucht ein, und Diebe und Mörder, vor denen der Gerechte Reißaus nimmt, finden an ihrem Busen Zuflucht wie das Nattern-und Schlangengezücht. Wahrlich, ich sage euch…«
    Agnes stand eine Weile wie versteinert. Sie hörte wie durch einen Nebel, wie in ihrer Nähe getuschelt wurde. »Da steht sie… kokett wie eine Dirne… geschieht ihr doch ganz recht… ausrotten müßte man die Gottlosen…«
    Als sie sich vorsichtig umblickte, sah sie, wie die selbstgerechten Frommen mit hämischem Grinsen immer mehr von ihr abrückten. Und allmählich stieg Wut in ihr auf, unbändige Wut. Trost hatte sie erhofft und Geifer und Spott geerntet. Zu Heinerls Freude machte Agnes unvermittelt kehrt und schritt mit ihm hocherhobenen Hauptes durch die Reihe zurückweichender Frömmler. Nein! Den Gefallen wollte sie ihnen nicht tun, daß sie auch nach der Messe noch über sie herfallen könnten. Wie eine Rachegöttin rauschte sie die Kaufingergasse entlang, so daß Heinerl kaum mit ihr Schritt halten konnte. Keiner wagte sie anzusprechen. Wenn der Kirchgang etwas bewirkt hatte, dann ungewollt dies: Die Wut setzte ungeahnte Kräfte frei. Agnes wollte sich nicht unterkriegen lassen. Sie würde kämpfen. Jetzt erst recht!
    Sie stürmte durch die Gaststube, ohne von Wast, Elsbeth oder irgendeinem der frühen Gäste Notiz zu nehmen. Sie wollte allein sein. Die Tür zu ihrer Kammer stand weit offen, und Agnes bot sich ein Bild der Verwüstung dar. Der Inhalt von Kasten und Truhen lag wild durcheinander. Der Bettladen war umgekippt, die Wäsche zerwühlt. Die Strohsäcke der Buben waren aufgeschlitzt und das Stroh in der ganzen Kammer verstreut. Blütenkränze lagen zertrampelt am Boden. Selbst einige Bretter von Boden und Wänden, die zuerst nur locker waren, hatte der Wüstling jetzt zur Gänze abgesprengt. Und mitten in diesem Chaos kniete Peter.
    »Was, in Teufels Namen, suchst du, daß du schon wieder hier wühlst?« fragte Agnes tonlos, nachdem sie sich ein wenig gefangen hatte. »Dein Glück, das du bei mir anscheinend nicht finden kannst?« Ihre Stimme triefte vor bitterem Hohn, obwohl ihr zum Heulen zumute war.
    »Suchst du Geld, um zu verschwinden?« fragte sie kalt. »Ich geb’s dir gerne, wenn du nur gehst. Weit weg. Am besten in die Hölle!«
    Peter, der mindestens ebenso überrascht war, hatte sich inzwischen aufgerichtet und brachte mühsam hervor: »Ich… ich war das nicht, Agnes.«
    Sie sank auf das Bett oder was einmal als solches gegolten hatte und heulte herzergreifend. Peter versuchte sie zu trösten. Doch diesmal stieß sie ihn fort. Sie hörte abrupt auf zu schluchzen, wischte sich die Augen klar und herrschte ihn an: »Dann sag mir doch, was passiert ist!«
    Peter rang einen Augenblick mit sich. Aber er konnte jetzt nicht mehr anders.
    »Sie suchen etwas«, sagte er zögernd.
    »Wer, zum Teufel?«
    »Der oder diejenigen, die Perchtold entführt

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