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Der Wachsmann

Der Wachsmann

Titel: Der Wachsmann Kostenlos Bücher Online Lesen
Autoren: Richard Rötzer
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stinkenden Lappen zwischen die Zähne. Er verschwand in einem Sack, wurde geschultert und kurz darauf unsanft auf einen Karren geworfen. Und wenig später flüsterte ihm eine rauhe Stimme zu: »Nur ein Laut und du bist tot.«
    Stocksteif hatte er daraufhin beim Anruf des Torwächters gelegen, hatte nicht gewagt sich zu mucksen. Dann schier endloses Rattern und Stoßen, bis ihn jemand vom Karren gezogen und irgendwo hinaufgetragen hatte. Die Schnur um den Sack war gelöst und er alleingelassen worden. Voller Angst war er nach einer Weile aus dem Sack gekrochen und umringt gewesen von erschreckender Finsternis, fremden Geräuschen und lauernder Gefahr. Er hatte etwas rauschen und plätschern hören und ein leises Vibrieren und gleichmäßiges Stampfen gefühlt, wie von einem Mühlrad. Allmählich hatten sich seine Augen an die Dunkelheit gewöhnt, unterstützt durch die winzigen Lichtflecken, die auch jetzt durch die Ritzen der Bretterwände drangen. So hatte er nach und nach gestapelte Säcke und Unrat, Latten und Balken und verschiedene Werkzeuge ausmachen können. Aber rasch und unerbittlich war es auch draußen Nacht geworden, und Perchtold hatte verzweifelt gegen die Holztür gehämmert und aus Leibeskräften gebrüllt. Dann war die Tür so gewaltsam aufgeflogen, daß er rückwärts zu Boden geschlagen war. Einer hatte ihn am Kragen gepackt, ihn hochgerissen, ein paar Stiegen hinuntergeschleift und hart auf einen Schemel gedrückt.
    Aus dem Halbdunkel hatte sich der feiste Widerling geschält, sich breitbeinig vor ihm aufgebaut, die Arme in die Seiten gestemmt und verächtlich gegrinst.
    »So, Bürschchen, hab’ ich dich endlich«, hatte er triumphiert und gleich darauf gedroht: »Du wirst mir jetzt ganz schnell verraten, wo du das geklaute Siegel versteckt hast, oder ich übergeb’ dich dem lieben Onkel hinter dir. Der zerhackt mit Vorliebe vorwitzige Bengel und stopft sie in die Wurst.«
    Als Perchtold sich vorsichtig umgeblickt hatte, wäre ihm fast das Herz stehengeblieben. Ein schmierig aussehender Kerl, dessen Gesicht von unzähligen kleinen Narben entstellt war, hatte gelangweilt mit der Spitze eines langen Messers den Dreck unter seinen Krallen hervorgekratzt und dabei unverschämt seine lückenhaften Zahnstummel gezeigt.
    Perchtold war schnell klargeworden, daß es keinen Ausweg gab und hatte daher das Versteck in Mutters Kammer preisgegeben. Die Bösewichter hatten ihm auch versprochen, daß sie ihn dann laufen ließen. Aber nun saß er schon seit Tagen in diesem stickigen Gefängnis. Er wußte zwar, daß sich hoch oben an der Außenwand ein Laden befand, der sich mit einer Latte ausstellen ließ, aber der Dicke hatte ihm dies verboten. Und am zweiten Tag seiner Gefangenschaft hatte er versucht, an seinem Wächter vorbeizuflitzen. Aber der mordlüsterne Geselle war unheimlich schnell gewesen, hatte ihn wie ein Krake ergriffen und danach ordentlich verprügelt. Seither hatten sie ihm zweimal am Tag den Fraß nur noch durch einen Türspalt hereingeschoben, und Perchtold hatte sich in das bittere Los gefügt. Am übelsten fand er mittlerweile den Gestank seiner eigenen Notdurft und die Wolke aufdringlicher Fliegen.
    Es waren nach langer Eintönigkeit wieder einmal Stimmen zu hören. Perchtold preßte das Ohr an die Türritze und lauschte angestrengt.
    Der häßliche Galgenvogel war offenbar zurückgekehrt. Aber Perchtold konnte erst etwas verstehen, nachdem die Stimme des Dicken lauter wurde.
    »Nichts, sagst du? Verdammt! Und dafür brauchst du so lange? Du solltest doch gleich zurückkommen, und jetzt ist es Abend.«
    »Reg dich nicht auf! Ich hab’ noch Erkundigungen eingezogen.«
    »Erkundigungen? Wozu? Das Bürschchen kauf’ ich mir jetzt. Erst warten wir tagelang auf einen günstigen Augenblick, und dann ist alles umsonst. Der kleine Saukerl hält uns doch zum Narren!«
    Perchtold hörte voller Angst einen Stuhl umfallen und etwas poltern. Jetzt würden sie ihn holen und…
    »Nein, warte!« Die Stimme gehörte dem Scheusal. »Das Ding hat womöglich schon ein anderer gefunden, einer von diesen vorwitzigen Pflegern.«
    »Wie kommst du darauf?«
    »Hab’ mich in Gasthäusern und Weinschenken umgehört, was man derzeit so erzählt in der Stadt. Bin dabei dem stadtbekannten Schwatzmaul – Nickel, oder wie er heißt – begegnet.«
    »Und?«
    »Er posaunte überall herum, daß für das Auffinden und die Rückkehr des Jungen eine ordentliche Belohnung ausgesetzt sei.«
    »Uns nützt jetzt nicht das

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