Der Wachsmann
Er mußte… Peter fuhr herum. Verdammt! Wo waren die Buben?
»Perchtold! Heinerl! Wo seid ihr?«
Es drehten sich nur grinsende Marktgänger um, aber von den Buben keine Spur.
»Wenn ich euch erwische«, schimpfte er aufgeregt vor sich hin, »ich zieh’ euch die Ohren lang!« und wußte im gleichen Augenblick, daß ihm selbst eine Ohrfeige gebührte. Ohne die Buben durfte er der Agnes nicht unter die Augen treten.
Da stand Heinerl vor einem Bäckerstand. Gott sei Dank! Der Wicht verspeiste seelenruhig eine riesige Nudel und war bis zu den Ohren mit Pflaumenmus verschmiert. Doch kaum faßte Peter erleichtert den Buben an der Hand, ging das Gezeter auch schon los.
»Ah, der Herr Vater. Recht so. Einen halben Pfennig bekomm’ ich von Euch für die Nudel und einen halben fürs Mus. Das macht genau…«
»Einen Dreck bekommt Ihr!« rief Peter erbost und zog den Heinerl mit sich fort.
Heinerl hatte sich, nachdem auch Perchtold verschwunden war, aus Langeweile einfach vor den Süßwarenstand gestellt und so lange zum Erbarmen gebrüllt, bis ihm die Frau des Bäckers das Naschwerk in die Hand gedrückt hatte, um die Kundschaft nicht zu vergraulen.
Doch wo war Perchtold? Heinerl äußerte schmatzend die Vermutung: »Er ist schon vorgegangen. Du hast ja keine Zeit.«
»Unsinn!« protestierte Peter.
»Doch«, beharrte der Bengel, »du läufst lieber Frauen hinterher und…«
»Halt ja den Schnabel!« drohte Peter. »Oder ich nehm’ euch beide nie mehr mit.«
Man hätte nicht recht sagen können, ob die Gesichtsfarbe seinem Zorn oder einer Schamesröte entsprach.
Während des Abendläutens kamen sie zu Hause an. Noch bevor er den Schankraum betrat, durchsuchte Peter hektisch Haus und Hof. Aber Perchtold war nicht aufzufinden. Agnes war vollauf beschäftigt, so daß sich Peter stillschweigend an einen der hinteren Tische setzte und erst einmal abwartete.
Allmählich trudelten auch Flößer ein. Peter gesellte sich zwar dazu, blieb aber wortkarg wie ein reuiger Sünder. Am späteren Abend, als es ruhiger wurde, setzte sich Agnes zu ihm.
»Hast du die Buben schon zu Bett gebracht? Ich hab’ sie gar nicht mehr gesehen.«
»Das nicht. Aber der Heinerl schläft wohl schon«, äußerte Peter mehr ahnend als wissend.
»Und Perchtold?« erkundigte sich Agnes.
»Hm, ich weiß nicht.«
»Was heißt das: Ich weiß nicht?«
»Das heißt: Nun ja, wir haben uns auf dem Markt aus den Augen verloren, und Perchtold ist nicht mit mir zurückgekommen.«
Agnes blickte ihn entgeistert an. »Wo ist er? Was war los?«
»Genau weiß ich’s auch nicht. Er muß irgendwas gesehen haben und war plötzlich verschwunden.« Peter hütete sich wohl zu erzählen, daß er zur gleichen Zeit selbst etwas gesehen hatte und in gewisser Weise ebenso plötzlich verschwunden war.
»Und Heinerl?« forschte Agnes besorgt. »Was sagt der?«
»Der hat ihn auch nicht mehr gesehen.«
»Warum sitzt du dann so seelenruhig da?« brauste Agnes jetzt auf. »Warum suchst du ihn nicht längst?«
Jetzt nur keinen Streit, dachte Peter und versuchte, Agnes zu beruhigen.
»Er hat auf dem Markt zwei Freunde getroffen. Ich nehme an, er ist mit ihnen mitgelaufen. Dann ist es spät geworden, und er hat sich wahrscheinlich nicht mehr nach Hause getraut.«
»Das hat er noch nie getan«, widersprach Agnes. »Das ist nicht seine Art.«
»Sicher schläft er dort«, überlegte Peter laut weiter. »Und morgen früh kommt er hier hereinspaziert, als sei nichts gewesen. Du wirst schon sehen.«
»Ich hoffe, du hast recht«, versuchte Agnes sich selbst zu überzeugen.
Sie gingen zu Bett und hielten sich eng umschlungen. Doch die Angst lag trotzdem zwischen ihnen.
Perchtold tauchte auch am anderen Vormittag nicht auf. Peter schickte Paul allein zur Lände und lief die Gassen rund um den Anger ab, durchsuchte alle möglichen Winkel und entlegenen Hinterhöfe, schaute unwillkürlich immer wieder in die Stadtbäche hinein. Nichts. In seiner Verzweiflung wandte er sich an den Richter und bat um dessen Unterstützung. Doch der Hüter von Recht und Ordnung war zufrieden, daß der Jahrmarkt dieses Mal ohne nennenswerte Störungen vonstatten gegangen war und hielt es auch jetzt nicht für nötig, in hektische Betriebsamkeit zu verfallen.
»Ihr wißt doch, wie die Bengel sind«, erklärte er leutselig. »Die Rotzlöffel fressen irgend etwas aus, und dann verkriechen sie sich eine Weile, bis sie glauben, daß keiner mehr danach kräht. Und ist er erst wieder zu Hause,
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