Der Wachsmann
haben.«
Agnes schaute ihn mit großen Augen an. »Du verbirgst etwas vor mir. Sag mir, was du weißt!« forderte sie hart.
»Es war während unserer Fahrt nach Wolfratshausen«, rückte Peter heraus. »Perchtold hat irgend jemandem ein Siegel entwendet. Es scheint von Wichtigkeit zu sein, und ich glaube, der Eigentümer will es mit allen Mitteln wiederhaben.«
»Perchtold hat gestohlen?« fragte Agnes lauernd. »Und das läßt du so einfach zu?« Sie erinnerte sich ungewollt der Worte des Pfaffen, der die Unschuld des verschollenen Knaben in Frage gestellt hatte.
»Nicht wirklich gestohlen«, wand sich Peter. »Es war mehr… ach, ich kann dir das jetzt nicht erklären. Wir müssen das verdammte Ding finden. Perchtold ist in höchster Gefahr. Und du und der Heinerl – wir alle! Wir müssen etwas unternehmen!«
Doch Agnes war damit noch nicht fertig. »Soll das heißen, der Junge ist in Lebensgefahr oder vielleicht schon tot, weil du nicht auf ihn aufgepaßt hast und das nicht erst auf dem Markt? Gütiger Himmel!« Sie schüttelte ungläubig den Kopf und setzte verächtlich noch hinzu. »Wozu bist du eigentlich gut?«
Und als Peter ihrem Blick auswich, sagte Agnes kühl, aber völlig entschlossen: »Ich glaube, du solltest jetzt deine Sachen packen und dieses Haus für eine gute Weile verlassen. Wir haben uns schon zu sehr verletzt und ich möchte nicht, daß es noch mehr wird.«
Als Peter wortlos an ihr vorbeiging, trafen sich ihre Blicke für einen kurzen Moment, und jeder sah die Trauer in den Augen des anderen.
Unter der Türe drehte sich Peter noch einmal um. »Nur eins noch: Perchtolds Verschwinden tut mir so weh, als wär’s mein eigener Sohn. Aber ich bin mir jetzt auch sicher, daß er noch lebt. Wir müssen nur verdammt schnell handeln.«
»Geb Gott, daß du recht behältst!« erwiderte Agnes. »Aber eines schwör’ ich dir: Wenn er nicht zurückkommt, dann werd’ ich zur Furie.«
Peter glaubte ihr jedes Wort.
16. Kapitel
Als Peter mit seinen wenigen Habseligkeiten in den Hof trat, kam Heinerl auf ihn zu und fragte enttäuscht: »Wohin geht ihr denn alle? Wann kommt Perchtold wieder? Keiner spielt mehr mit mir.«
Das Bürschchen hatte sehr wohl bemerkt, daß etwas nicht stimmte. Zum Glück wußte Heinerl noch nicht die volle Wahrheit, und Peter versuchte ihn zu trösten: »Weißt du, der Perchtold ist sicher bei einer Waldfee untergeschlüpft und lernt dort so viele Dinge, daß er gar nicht recht zurückkommen mag. Ich geh’ ihn jetzt suchen und bring’ ihn sicher bald zurück.«
»Kann ich nicht mitkommen? Ich will auch die Fee sehen. Vielleicht kann sie zaubern und bringt mir Spielsachen.«
»Das geht nicht Heinerl, weil die gute Fee immer nur auf ein Kind aufpassen kann und die Unholde nur darauf lauern, das andere zu entführen. Außerdem braucht ja die Mutter einen großen und starken Beschützer.«
»Na gut«, lenkte Heinerl ein. »Aber sag dem Perchtold, daß ich ihn dringend etwas fragen muß. Ich möchte etwas mit ihm tauschen.«
»Ich werd’s ihm sagen«, versicherte Peter und zwickte den Heinerl zum Abschied augenzwinkernd in die Backe.
Peter verließ den Hof durch die seitliche Tür. Er hatte es nicht weit. Aber als er in die Gasse der Ircher einbog, wurde ihm zum ersten Mal richtig bewußt, daß er in all der Zeit noch nie Pauls Behausung aufgesucht hatte. Das Leben der beiden hatte sich bisher entweder an der Lände oder bei Agnes im Gasthaus abgespielt. Dennoch war das Anwesen des Kramers Ulrich Hudler leicht zu finden, denn seine zänkische Alte keifte für gewöhnlich so laut, daß es durch die ganze Gasse zu hören war. Peter trat durch das große Tor und den Flur in den Hinterhof. Eine wackelige Stiege führte zu einem seitlichen Laubengang hinauf, von dem mehrere Kammern abgingen. Er ging unschlüssig entlang, bis er seliges Schnarchen hörte. Dort klopfte er mehrmals heftig. Es dauerte eine Weile, bis er unterdrücktes Fluchen vernahm, danach ein Schlurfen und schließlich das Knarzen eines zurückgeschobenen Riegels. Paul hatte sich nach den Anstrengungen der sonntäglichen Frühmahlzeit erst einmal aufs Ohr gelegt. Obwohl er ziemlich verschlafen die Türe öffnete, schien er die Situation augenblicklich zu durchschauen.
Wortlos trat Peter in das Halbdunkel, in das nur durch einen ausgestellten Fensterladen und den offenen Rauchabzug im Dach ein wenig Licht fiel. Peter erfaßte auf den ersten Blick, daß hier die ordnende Hand einer Frau fehlte. Es sah aus,
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