Der Wachsmann
gibt’s eine Tracht Prügel, und alles ist wieder in Ordnung.«
»Dazu muß man ihn erst haben«, murrte Peter verärgert, machte kehrt und ließ die Türe krachend hinter sich zufallen.
Peter überlegte fieberhaft, was es doch gleich wieder gewesen war, worauf ihn Perchtold auf dem Markt hatte aufmerksam machen wollen. »Der gemeine Kerl«, kam ihm in den Sinn. Wen hatte er damit gemeint? Ach ja, »vom Wirtshaus« hatte er gesprochen – Peter konnte trotzdem nichts damit verbinden. Der Schuster? Gottschalk? Unsinn! Mit denen hatte doch der Junge nichts zu schaffen.
Er ging im Geiste die letzten Tage und Wochen durch und plötzlich fiel es ihm siedendheiß ein: Weikenried! Natürlich! Perchtold hatte auf der Heimfahrt von einem Grobian gesprochen, dem er einen Streich gespielt hatte. Das Siegel!
Himmel, es wird doch nicht damit etwas zu tun haben? Aber ja doch! Der Überfall! Und deshalb war auch sein Wams zerrissen gewesen. Wenn der Kerl noch jetzt danach sucht und Perchtold ihm über den Weg lief… Herr im Himmel! Dann ist der Junge in größter Gefahr.
Peter rannte nach Hause und stürmte die Treppen hoch. Er suchte an allen Plätzen, wo ihm die Aufbewahrung möglich erschien, stellte förmlich die Kammer von Agnes auf den Kopf.
»Was suchst du?« Agnes stand plötzlich in der Türe.
»Das… vielleicht finde ich irgend etwas…« Peter war völlig durcheinander. Er konnte ihr doch jetzt nicht auch noch die Geschichte mit dem Siegel erzählen.
»Es wäre klüger, in den Gassen zu suchen«, bemerkte Agnes kalt, »als deine Zeit hier zu verschwenden.«
»Aber ich hab’ doch schon überall…« Peter blickte flehentlich und hob entschuldigend die Achsel.
»Dann such eben weiter!« brüllte sie ihn verzweifelt an.
Peter ging stumm und gesenkten Hauptes an ihr vorbei.
»Und komm mir nicht ohne ihn!« rief sie ihm noch nach.
Er lief den Rest des Tages unentwegt in der Stadt umher, fragte überall und jeden – vergeblich. Er aß sogar in einem anderen Gasthaus zu Abend, wobei er ohnehin kaum Hunger hatte. Und erst spät abends traute er sich ins Haus der Maenhartin zurück. Er schlich leise zu ihrer Kammer hinauf. Doch diesmal war nicht nur die Tür verschlossen, sondern auch einige seiner Habseligkeiten lagen wild verstreut im Flur herum. Er sammelte sie auf, ging in seine eigene Kammer und rollte sich in die Decke. Ruhe fand er noch lange nicht.
Bereits im ersten Morgengrauen war Peter wieder auf den Beinen. Er hoffte, daß er der Agnes so früh noch nicht begegnete. Doch die hielt es längst nicht mehr auf ihrem Lager aus, schrubbte in der Küche schon Töpfe und Pfannen, fegte den Schankraum aus und streute frische Binsen, alles nur, um wenigstens für eine gewisse Zeit dem sorgenvollen Grübeln zu entkommen. Peter, der im ersten Moment schon Streit befürchtet hatte, sah nun, daß ihr sonst so hübsches Gesicht an diesem Morgen ziemlich verquollen war und ihre Augen sich durch anhaltendes Weinen schmerzlich gerötet hatten. So verletzlich hatte er die Agnes noch nie gesehen. Von ihrer Selbstsicherheit und Stärke war auf einmal nichts zu spüren. Sie wirkte fast zerbrechlich, war nur mehr eine verzweifelte Mutter. Auch sie hatte am Vortag anhaltend gesucht, ohne den geringsten Erfolg. Jetzt blickte sie Peter aus wäßrigen Augen flehentlich an, ob nicht wenigstens er… Sein stummes Kopfschütteln brach in ihr den letzten Strohhalm der Hoffnung entzwei. In einer plötzlichen Aufwallung riß sie die Fäuste vor den Mund und stieß mit starrem Blick und beinahe tonlos hervor: »Es ist was passiert… ich spür’s… was Schreckliches ist passiert!« Peter sprang entsetzt auf und ging auf sie zu. Doch bevor er sie tröstend in den Arm nehmen konnte, hieb sie mit den Fäusten wild auf ihn ein und brüllte schrill: »Er ist tot! Tot! Tot!… Tot…«
Die Stimme erstarb in einem Schwall von Tränen. Sie sank auf eine Bank, ließ den Kopf in die Arme fallen und weinte hemmungslos. Peter stand erst einige Augenblicke lang wie gelähmt daneben, setzte sich dann zu ihr und legte vorsichtig den Arm um sie. Agnes ließ ihn gewähren. Ihre Krämpfe gingen allmählich in leises Schluchzen über. Stumm fühlte Peter sich schuldig – abgrundtief schuldig – und wußte in diesem Augenblick, daß er wohl nie mehr ihre Verzeihung oder gar Liebe erlangen könnte. Was hätte er in diesem Augenblick für ein passendes Wort gegeben. Etwas, das sie zu trösten vermochte und wäre es nur Gottschalk gewesen, der…
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