Der Wachsmann
Bruder nichts wirklich Wertvolles darin aufbewahrt. Ein paar Abschriften, Belege, vielleicht noch ein paar Psalmverse und seine Kräutersammlung. Aber das sind ja keine Werte in materieller Hinsicht, nicht wahr?« Er warf seinem Bruder einen kurzen Blick zu und lachte ungezwungen. Er blieb allerdings der einzige damit, und der Alte starrte ihn an, als wolle er ihn umgehend mit Blicken erdolchen.
»Habt Ihr die Psalmen dabei?« raunte der Richter unterdessen Peter zu und als dieser nickte: »Nun, worauf wartet Ihr?«
Peter schob den Psalm, den er dem alten Pütrich schon einmal vorgehalten hatte, über den Tisch und richtete an beide Brüder gleichermaßen die Frage: »Meint Ihr etwa diesen hier?«
Heinrich Pütrich wechselte erneut die Farbe und wurde kreidebleich.
»Was soll das? Ihr habt mich schon einmal damit überfallen. Könnt Ihr diesen Unsinn nicht endlich lassen?«
»Unsinn?« ging der Richter dazwischen. »Ich nenne es eher einen Beweis.«
»Wofür?«
»Für Eure Schuld!« Konrad Diener beugte sich abrupt nach vorne und wies mit dem Zeigefinger direkt auf den Kaufmann.
Heinrich Pütrich fuhr zurück. »Seid Ihr verrückt? Wollt Ihr mich etwa des Mordes an diesem Peitinger bezichtigen?«
»Eure Schuld besteht zunächst nur aus einer Lüge«, stellte der Richter klar und schloß daran die Frage an: »Erkennt Ihr diesen Psalm?«
Heinrich Pütrich schüttelte nur kraftlos den Kopf und murmelte: »Ich bin Kaufmann und kein Priester.«
»Oh, Ihr müßt mir nicht den Text erklären«, verdeutlichte der Richter seine Frage. »Seht Euch nur die Schrift an!«
Der Alte streckte widerwillig die Hand aus, und ließ sich von seinem Sohn das Pergamentstück reichen. Er warf einen kurzen Blick darauf, schüttelte das Haupt, diesmal ziemlich energisch, und warf das Schriftstück wortlos auf den Tisch zurück.
»Nun?« forschte der Richter.
»Beliebige Verse irgendeines Schreibers«, brummte der Kaufmann mürrisch.
»Ihr seid sehr fromm, geht täglich zur Messe.«
»Wird einem das jetzt auch schon zur Last gelegt?«
»Keineswegs«, verneinte der Richter. »Aber ein Meineid dürfte Euer Gewissen schwer belasten.«
»Wie meint Ihr das?«
»Ganz einfach, indem Ihr beeiden müßtet, den Psalm nicht zu kennen«, erklärte Konrad Diener lächelnd. »Wir könnten es uns einfacher machen und den Text mit Einträgen von Euch in den Ratsbüchern oder mit Geschäftsbriefen vergleichen. Oder noch einfacher: Ihr gebt einfach zu, daß Ihr diesen Text geschrieben habt.«
Der Richter hielt seine Augen scharf auf Heinrich Pütrich gerichtet, dem immer unbehaglicher wurde. Er faßte sich an den Hals, Schweißtropfen bildeten sich auf der faltigen Stirn.
»Nun ja, ich… ich habe früher einmal den einen oder anderen Text aufnotiert. Das war vor Jahren und…«
»Wozu?« unterbrach ihn der Richter kühl.
»Wozu… wozu?« wiederholte Pütrich langsam, als könne er sich nur mühsam erinnern. »Es gibt Schicksalsschläge, Zeiten, in denen man sich erst vom Allmächtigen verlassen fühlt, um sich dann doch wieder an ihn zu wenden, inbrünstiger als je zuvor. Jeder von uns kennt dies. In meiner Not schrieb ich auch Psalmen, trug sie bei mir, um mich der Hilfe des Herrn in jeder Weise zu versichern.«
Konrad Diener hakte erbarmungslos nach. » Gott wird ihnen die Zähne im Mund zerbrechen, sie zu Nichts vergehen lassen, der Gerechte wird seine Hände in ihrem Blut waschen – ein merkwürdiger Text für einen Leidgeplagten. Klingt eher nach einem unseligen Fluch, findet Ihr nicht auch?«
»Ihr habt keine Ah…« Pütrich hielt im letzten Augenblick seine Wut im Zaum, mäßigte sich mühsam und versuchte zu erklären. »Es ist ein Lied Davids, in dem er Ungerechtigkeiten beklagt. Ihr, Ihr dürft nicht einfach Verse aus dem Zusammenhang reißen. Es entstellt den Sinn und… ja, natürlich« – über Pütrichs Gesicht huschte ein kurzes Lächeln –, »ich habe die Psalmen stets zur Gänze aufnotiert. Ein solches Fragment ist nicht von mir.«
Der Richter schien unbeeindruckt. Seine Augen verengten sich zu Schlitzen, und er empfahl drohend: »Versucht nicht, mich für dumm zu verkaufen, Herr Kaufmann!« Er betonte dieses Wort fast verächtlich. »Die Verse abtrennen konntet Ihr so gut wie jeder andere. Erklärt mir lieber, wie Euer Psalm in die Hände des Peitinger kam! Man fand ihn nämlich bei seiner Leiche.«
Birgit Pütrich stöhnte auf und hielt sich erschrocken die Hände vor den Mund, während der Bruder
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