Der Wachsmann
protestierte: »Gütiger Gott! Da erlaubt sich doch jemand einen schrecklichen Scherz.«
»Ich, ich weiß es nicht«, stammelte Heinrich Pütrich, aus dessen Gesicht wieder alle Farbe gewichen war. »Ich habe nichts mit dessen Tod zu tun. Ich hatte nichts mit diesem Menschen zu schaffen!«
»Das sagtet Ihr schon«, erwiderte Konrad Diener ungerührt. »Das läßt dann nur den Schluß zu, daß der Peitinger den Psalmtext gestohlen hat und zwar während des Einbruchs bei Euch. Und das hieße dann, daß Ihr gelogen habt. War es so?«
»Nein! Nein! Nein!« brüllte der Beschuldigte und schlug jedesmal mit seiner knochigen Faust auf den Tisch.
»Wie denn?« fragte der Richter ganz ruhig und legte dabei den Kopf leicht schräg.
»Vielleicht habe ich ihn verloren oder er hat ihn anderswo entwendet. Ich habe auch mit unserem Kaplan die Verse ausgetauscht. Ja, so könnte es zum Beispiel gewesen sein. Es gibt tausend Möglichkeiten.«
»Mir reicht eine«, beschied Konrad Diener den sich windenden Kaufmann trocken. »Eine glaubhafte allerdings«, setzte er noch hinzu.
»Verzeiht!« schaltete sich da plötzlich der Schreiber Konrad Dieners ein, der die letzten Zeilen nochmals überflog. »Ihr erklärtet obig, das sei alles schon vor Jahren gewesen.«
»Was?«
»Daß Ihr Psalmen aufgeschrieben habt.«
»Ganz recht«, bestärkte ihn Diener und warf seinem Schreiber einen anerkennenden Blick zu. »Wie geht das zusammen, Herr Pütrich? Habt Ihr Euch jetzt nur der frühen Schreiberei erinnert und den Peitinger für sein übles Zeugnis am Ende mit einem Psalmvers entlohnt?«
Der Kaufmann ballte die Fäuste und biß sich zornbebend auf die Lippe, während der Richter fortfuhr zu höhnen: »Merkwürdigerweise fand man einen ähnlichen Psalm mit Eurer Schrift auch bei dem erstochenen Leonhart. Habt Ihr Euch bei ihm damit für die Beseitigung des Peitinger bedankt, oder verhält es sich anders? Sagt’s uns!«
Heinrich Pütrich sprang auf und schrie: »Ich weiß nicht, was Ihr von mir wollt! Ich habe weder mit dem Tod des einen noch des anderen zu tun, ich schwör’s bei allen Heiligen!« Er ließ sich erschöpft auf den Stuhl zurückfallen, wo er in sich zusammensank.
»Dann braucht Ihr mir nur noch zu sagen, wo Ihr den Abend des ersten August zugebracht habt. Ihr erinnert Euch? Petri Kettenfeier, der Tag, oder besser die Nacht, in der dieser Leonhart ermordet wurde.«
»Ich, ich ging wahrscheinlich früh zu Bett, wie meistens. Richtig, ich ließ mir von Anselm einen Schlaftrunk bringen, las noch ein wenig im Psalter und legte mich bald zur Ruhe.«
»Der Schlaftrunk hat Euch wohl eher wieder munter gemacht oder habe ich nur Euren Geist oder Astralleib gesehen dort draußen am Laimbach?«
Pütrich blickte nur finster und sagte nichts, so daß der Richter gleich nachsetzte: »Wolltet Ihr nur nachsehen, ob Euer Psalm noch bei der Leiche lag oder was hattet Ihr sonst dort zu suchen? Sprecht!«
»Wer hätte bei dem ganzen Lärm schon schlafen können?« erwiderte der Kaufmann müde. »Habt Ihr all den Pöbel auch schon gefragt, was er dort zu suchen hatte? Ich hatte wenigstens einen Grund und einen guten noch dazu.« Heinrich Pütrich richtete sich plötzlich wieder auf und spie die folgenden Worte aus wie eine Kobra ihr Gift: »Wenn man davon ausgeht, daß der Schurke Krinner seine Seele noch selbst dem Teufel überantwortet hat, dann war dies der zweite bestialische Mord innerhalb kurzer Zeit, der auf reichlich obskure Weise geschah. Die Bürger sind verängstigt, unruhig und murren. Ich trage in dieser Stadt eine große Verantwortung und hielt es daher geradezu für meine Pflicht, mich vor Ort zu informieren. Und es dürfte Eurer geschätzten Aufmerksamkeit nicht entgangen sein, daß ich nicht der einzige Amtsträger am Tatort war. Der Rat macht sich große Sorgen, und viele von uns sind der Ansicht, daß es eines energischeren Vorgehens bedürfte und daß der geeignete Mann die schrecklichen Vorfälle längst geklärt hätte, damit wieder Ruhe einkehrt in diesem Tollhaus.«
Dieser Brocken war nicht leicht zu schlucken, und so fing jetzt der Richter an zu kochen.
Peter hatte sich schon geraume Zeit gewundert, wie hart Konrad Diener diesmal mit dem alten Pütrich umsprang, wo er diesen doch lange Zeit eher in Schutz genommen hatte. Oder war es nur der Unsicherheit des Richters vor dem Hintergrund seiner eigenen Fehlbarkeit zuzuschreiben gewesen? Jedenfalls schien er jetzt Blut geleckt zu haben und entschlossen zu sein,
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