Der Waechter
sie das Mädchen in ihrer Hand erblickte.
Es war nur ein Traum, Jenny!
Doch damit sollte sie sich irren.
1. Kapitel
Jemand hämmerte an Jennys Tür.
« Raus aus den Federn, Schwesterherz! Glaub nur nicht, dass du heute blaumachen kannst, bloß weil du Geburtstag hast! » Simone, Jennys drei Jahre ältere Schwester, riss mit einem schadenfrohen Grinsen die Tür auf. Als sie Jennys verstörtes Gesicht sah, wurde sie ernst. « Was ist denn los? Geister verschluckt? »
Jenny schüttelte den Kopf. « Nein. Kröten! » Keinesfalls würde sie zugeben, dass sie sich in ihrem Alter noch von einem Traum durcheinanderbringen ließ.
« Hey, du hast heute Geburtstag. Bloß kein Gesicht ziehen! Und beeil dich! » Simone verschwand ebenso schnell, wie sie erschienen war.
Jenny sah auf die Uhr und legte ihren Kopf noch einmal zurück ins Kissen, überlegte einen Augenblick und lächelte dann verlegen.
Was für ein Traum!
Wenn sie nur ebenso realistisch von Rene träumen würde! Davon, wie er sich Hals über Kopf in sie verliebte, wie er sie anbetete, sie fest umschlungen an sich drückte und küsste. Jenny kicherte und zog sich die Bettdecke an die Nasenspitze, dann seufzte sie tief.
Endlich fünfzehn!
« Mensch Jenny, hat dich jemand durch die Obstpresse gejagt, oder was ist mit dir los? » Nina, Jennys beste Freundin, stieg in Hütteberg in den Bus. « Lach mal! Sonst wird das nichts mit deinem Angebeteten. » Dann fiel sie Jenny um den Hals. « Alles Gute zum Geburtstag, du Nase! »
« Schön, dass du mir Mut machst! Das hebt gleich die Stimmung », entgegnete Jenny sarkastisch. Sie war nicht zu Scherzen aufgelegt. Noch immer glaubte sie, einen klammen Nebel des Angsthauchs um sich zu spüren, den der Traum hinterlassen hatte.
« Ohje, wir verstehen wohl keinen Spaß mehr, kaum dass wir ein Jahr älter geworden sind, was? »
« Tschuldigung! Ich hatte einen schlechten Traum. Irgendwie klebt der wie Kacke an mir. » Jenny beugte sich näher zu Nina. « Aber vielleicht hab ich ja Glück und Rene gratuliert mir zum Geburtstag. Dann ist alles wieder gut. »
« Das lässt sich einrichten. Wozu sind Freundinnen denn schließlich da? », sagte Nina und zwinkerte Jenny verschwörerisch zu.
Zwanzig nach sieben stand Jenny in der Vorhalle des Gymnasiums und starrte erwartungsvoll auf den Eingang. Nina hatte sich hinter einer der Säulen des Vordachs versteckt und hielt Ausschau nach Rene. Der Plan war, dass Nina sich, sobald Rene erschien, auf Jenny stürzte und ihr so laut zum Geburtstag gratulierte, dass selbst ein Tauber es hören konnte. Rene würde es mitbekommen und Jenny auch gratulieren. Ihr Tag wäre gerettet.
In diesem Schuljahr hatte sie Glück, denn Renes Klassenzimmer befand sich auf der Ebene zwischen zwei Treppen, die sie häufig nutzte und die ihr einen guten Einblick boten. Als ein leckeres Bonbon obendrauf, fand seit Beginn des zweiten Schulhalbjahres das Handballtraining von Renes Mannschaft mittwochabends nach Jennys Handballtraining statt. Sie blieb dann immer etwas länger und schaute Rene zu. Die ganze Schule wusste von ihrer Schwärmerei für ihn. Seit drei Jahren war sie in ihn verliebt. Als sie zwölf war, steckte sie ihm heimlich kleine Liebesbriefe zu, was seine Mitschüler amüsant fanden und ihn damit aufzogen. Er hatte ihr nie darauf geantwortet, aber sich über jeden einzelnen gefreut. Da war Jenny sich sicher. Bis heute gab es Mitschüler, die sich darüber amüsierten, wenn sie Renes Nähe suchte. Insbesondere Yvonne, Renes Klassenkameradin, nutzte jede Gelegenheit, Jenny vor allen anderen zu demütigen, indem sie laut Renes Namen rief und Stöhn- und Schmatzgeräusche machte, sobald Jenny in seine Nähe kam. Das war ihr schrecklich peinlich, aber dennoch konnte sie nicht anders, als immer wieder Ausschau nach ihm zu halten.
Da kam er auch schon auf das Schulgebäude zugesteuert, ihr Rene, der Junge ihrer Träume: blond, blauäugig, groß, sportlich schlank. Jennys Herz klopfte bis zum Hals, während Nina nach Plan vorging.
« Jennyyyyy. Alles Gute zum Geburtstag! », brüllte Nina und fiel Jenny um den Hals.
Rene sah es, winkte, war weg und ließ ein Häufchen Jenny zurück.
« Hey, der Tag ist noch lang », tröstete Nina sie.
In der großen Pause strebte Rene seinen üblichen Platz an, oberhalb der Treppen, die von der Straße auf das Schulgelände führten. Die Jugendlichen, die rauchten, nutzten die Grenze des rauchfreien Schulgeländes zum öffentlichen Gelände und pafften
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